im Herzog-Konrad-Saal in Owen/Teck von der Historikerin Svenja M. Galla.
Wir schreiben das Jahr 1525 – zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Gebieten begehren gegen die sie unterdrückende Herrschaft auf. Der württembergische Herzog Ulrich befindet sich nach seiner Vertreibung im Exil, die Statthalterschaft übernimmt seit 1519 die Österreichische Regierung. Zudem spielt das vom Schwäbischen Bund organisierte Heer unter der Führung des Truchsess von Waldburg-Zeil die entscheidende Rolle beim blutigen Ausgang der Schlachten zu Ungunsten der Aufrührer nicht nur in Württemberg. Auch Männer und Frauen aus der Region Kirchheim und aus dem Lenninger Tal befinden sich unter den Aufständischen.
Die bis heute wohl bekanntesten Ereignisse der Bauernunruhen im Raum Kirchheim sind die Brände der Teck und des Schlossbergs in Dettingen. Die Narrative zu diesem Thema wurden im hiesigen Raum geprägt von den Forschungen der Pfarrer Gustav Bossert dem Älteren, der einige Jahre Pfarrer in Nabern war, und seinem gleichnamigen Sohn. Während Gustav Bossert d.Ä. sich 1911 besonders der „Fremdherrschaft“ der Österreicher widmete, forschte sein Sohn Gustav Martin Bossert d.J. zur 400sten Jährung des Bauernkriegs zum Bauernobersten Matern Feuerbacher.(1) Erstere Publikation setzte sich kaum mit der Quellenlage auseinander. Die Arbeit des jüngeren Bossert holte dies 1925 nach und kann als fundierte Grundlage für weitere Arbeiten dienen.
Der Brand der Burg Teck und des Schlossbergs am 3. Mai 1525

Prozessakten Klaus von Grafeneck und der Witwe Juliana von Grafeneck wegen der im Bauren-Aufruhr geschehenen Plünderung und Verbrennung seine Burg Schloßberg 1525. HSTAS H 54 Bü 23, Digitalisat, Bild 1.
In den Prozessakten des Claus von Grafeneck und seiner Mutter Juliana, den Besitzern der Burg Schlossberg, sowie in den Gerichtsakten des Bauernhauptmanns Matern Feuerbacher finden sich Zeugenaussagen zu den Ereignissen am 3. Mai. Seit dem 30. April lagerte der Bauernhaufen in Kirchheim und plante, seinen Zug in Richtung Nürtingen fortzusetzen. Dafür wartete ein Teil des Haufens abmarschbereit auf der Hahnweide. Über den Morgen des 3. Mai wird von einem Aufeinandertreffen mehrerer Personen zwischen Dettingen und Kirchheim berichtet. Gegen 6 Uhr von Dettingen nach Kirchheim gehend begegnen der alte Caspar Sauter und Jörg Blum, der Zimmermann, dem Profos Hans Metzger aus Besigheim(2) mit einer „Gefolgschaft“. Diese wird später von Thoman Schuhmacher so beschrieben: Er habe den Profos auf einem Pferd reitend, einen bemalten Stecken in der Hand haltend gesehen. Einen ebensolchen Stecken habe auch einer der Gefährten dabeigehabt (wahrscheinlich dessen Stellvertreter), während die zwei anderen Männer mit einer Büchse und einer Hellebarde bewaffnet gewesen seien.
Auf Caspar Sauters Frage nach ihrem Vorhaben erhält er am Morgen die Antwort: mir welen vff deck vnd welens verbrenen.(3) Während Jörg Blum seinen Weg fortsetzte, kehrte Sauter um – vermutlich, um die Dettinger vor späteren Angriffen auf die Burg Schlossberg zu warnen und sie zur Verteidigung zu mobilisieren. Als Blum später wieder nach Dettingen zurückkehrte, hat deck in Almacht gebrunen.
Thoman Schuhmacher und Jörg Blum beschreiben die Begegnung mit dem Profos und seiner Gefolgschaft in einem Punkt gleich: Sie erkennen den Profos, nennen aber nicht seinen Namen. Es stellt sich daher zwingend die Frage, wer denn letztendlich die Teck angezündet hat. Die Beschreibungen lassen keine klaren Rückschlüsse zu, wer sich alles auf den Weg nach oben zur Teck aufmachte.
Möglicherweise sind es mehr Personen als die vier, die Schuhmacher als verantwortlich für die Brandlegung beschreibt. Der Profos Hans Metzger als Anführer in dieser Sache sagt in den Prozessakten Feuerbachers von 1526/27 als Zeuge aus, dass der radikalere Bauernanführer von beiden, Hans Wunderer, ihn zum Verbrennen der Teck hinaufgeschickt hatte. Als er jedoch dort ankam, habe die Burg bereits gebrannt.
Zuvor machte er aber eine andere Aussage. Am 23. März 1526 musste er Urfehde schwören.(4) In dieser ist er eindeutig derjenige, der die Verantwortung für den Brand zu tragen hatte. Unklar ist allerdings, welche der beiden Aussagen die zutreffende ist. Erklärbar wären diese Differenzen mit einem unfreiwilligen Geständnis in der Urfehde, das wohl unter Folter erzwungen worden war. Oder er war es tatsächlich selbst, der den Brand gelegt hatte und dies im Verhör im Prozess gegen Feuerbacher von 1526/27 mit der Absicht verschleierte, um diesen zu entlasten. Die Wahrheit kennen wir nicht.
Was letztendlich direkt vor Ort auf dem Berg geschah und ob der Profos Metzger oder jemand anderes für die Brandlegung verantwortlich war, lässt sich leider aufgrund fehlender Quellen und sich widersprechender Aussagen nicht mehr rekonstruieren.(5) Spekulativ bleibt außerdem die Frage danach, wie viele Personen sich auf dem Berg befanden. Wer sich dem Profos und seinen Begleitern auf dem Weg zur Teck unterwegs anschloss, ist nicht überliefert. Vermutlich wurde bereits von Anfang an von einer großen Anzahl an Männern abgesehen, die hinaufgeschickt wurden, da die Lage auf der Burg als wenig wehrfähig eingeschätzt werden konnte. Dass dennoch mehr Aufständische als diese vier an einer Zerstörung der Adelssitze interessiert waren, wird sich an späterer Stelle im Falle des Schlossbergs deutlich zeigen. Das Abbrennen der Teck als reine Symbolpolitik erscheint am wahrscheinlichsten. Mit der Zerstörung der Herrschaftssitze wurde ein eutliches Exempel der Aufständischen gegen die adelige Obrigkeit statuiert.
Burg Schlossberg in Dettingen

Der „Dettinger Schlossberg“, Stellvertreterbild bei Berücksichtigung des Burghügels der ehemaligen Burg. Wie die Burg ausgesehen haben könnte, ist nicht überliefert. Vorlage: Rammingers Seebuch, Blatt Gutenberg (Ausschnitt).
WLB/Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod.hist.fol.261, fol. 17r.
Nachdem nun also die Teck in Flammen stand wurde der Schlossberg, Sitz des Claus von Grafeneck und seiner verwitweten Mutter, zum Ziel. Wie bezeichnend die Burg für den Ort war, zeigt sich an ihrer namengebenden unktion. Erst nach 1880 wurde Dettingen der Zusatz „am Schlossberg“ gestrichen und die bis heute gültige Bezeichnung „unter Teck“ angefügt. Schon seit dem Einmarsch der Bauern in Kirchheim seien solche dort uff- und abgeloffen. In den Prozessakten ist die Rede von verschiedenen Randalen. Es bestand also eine begründete Furcht der Dettinger und des von Grafeneck vor weiteren Anschlägen auf die Burg. Bedenkt man die Umgebung des Schlossbergs, ist diese Angst umso nachvollziehbarer. Bei einem Brand wären ihre eigenen Häuser und Gärten mit betroffen gewesen. Einige namentlich überlieferte Dettinger waren auf den Ertrag aus dem Weinbau und den umliegenden Gärten angewiesen. Allerdings stand die bäuerliche Dorfbevölkerung auch dem Herren von Grafeneck sehr wohlwollend gegenüber, was in mehreren Aussagen so Erwähnung findet.
Am Morgen des 3. Mai hatte sich der Profos Metzger wohl mit seinem Anhang zu einem Frühstück im Wirtshaus des „haarigen Hans“ eingefunden. Jörg Blum konnte beobachten, wie vier Personen das Gasthaus verließen und in Richtung des Schlossbergs randalierend an seinem Haus vorbeizogen. Schon im Wirtshaus des „haarigen Hans“ versuchten einige, das Vorhaben verbal zu zerschlagen. Einen Moment schien es so, also könnten sie den Profosen umstimmen, doch letztendlich gab dieser bekannt, dass er dennoch vier oder fünf Personen hinaufschicken wolle, um das, was dort sei, zu zerschlagen. Daran änderten auch weitere Verteidigungsversuche der Dettinger nichts, bei denen sie sich mit Waffen in den Weg stellten. Nach der Teck stand nun auch der Schlossberg in Flammen und der Bauernhaufen machte sich weiter auf in Richtung Nürtingen.(6)
Herrschafts- und Lebensverhältnisse im Lenninger Tal
Das Tal war zu dieser Zeit in zwei Stäbe (Gerichts- bzw. Verwaltungsbezirke) eingeteilt. Der Oberlenninger Stab bestand aus den Gemeinden Brucken, Unterlenningen, Oberlenningen und Schlattstall. Laut dem Herdstättenverzeichnis von 1525 gab es hier zu dieser Zeit 107 bäuerliche Anwesen („Häusser und Gesässe“) mit geschätzten 430 Personen, 7 alleinstehende Personen und vier Familien ohne eigenes Wohnhaus.
Dem Gutenberger Stab werden Gutenberg selbst, Krebsstein und Schopfloch zugerechnet, wobei die beiden letzten Orte keine weitere Rolle in den heutigen Ausführungen spielen, da von hier keine am Bauernaufruhr Beteiligten überliefert wurden. Was nicht bedeutet, dass es sie nicht gab. Für diese drei Orte sind im Herdstellenverzeichnis von 1525 53 Wohn- und Wirtschaftsgebäude überliefert, in sowie denen ca. 235 Personen lebten. Es handelte sich dabei um 5 Familien, zwei alleinstehende Personen ohne Haus, die sich wohl bei Verwandten eingemietet hatten.
Die Lenninger Täler unterstanden seit 1495 wie alle im Kirchheimer Amt den Herzögen von Württemberg. Die Unterbrechung der Herrschaft durch die Habsburger zwischen 1519 – 1534 führte zu einer politischen Sondersituation zur Zeit der Bauernunruhen. Neben Rechten an Grund und Boden besaßen sie außerdem die Verfügungsgewalt über die Menschen des Tals. Weiterhin besaßen sie das Bannrecht auf Mühlen. Das bedeutete, dass festgelegt wurde, wer wo sein Getreide zu mahlen hatte.
Die Einwohner der Gemeinden waren verpflichtet, vielfältige steuerliche, militärische und frondienstliche Leistungen gegenüber der Landesherrschaft zu erbringen. Auch der Bereich der Jagd war dabei nicht ausgenommen. Sie mussten für das herrschaftliche Weidwerk auf eigene Kosten Jagdhunde aufziehen, als Treiber und bei der Wolfsjagd unterstützen und das Wildpret, also das Fleisch von freilebenden Tieren, nach Nürtingen und Kirchheim führen.

Atlas des Herzogtums Württemberg von Heinrich Schweickher, 1575. WLB/Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod.hist.qt.102, fol. 32r. ➤ Bild vergrößern
Der Alltag der Menschen im „Täle“ war bestimmt von bäuerlichen Tätigkeiten, die den Lebensunterhalt sicherstellen und darüber hinaus die zu leistenden Abgaben bedienen mussten. In der Dreifelderwirtschaft („Dreizelgenwirtschaft“) mit jährlichem Fruchtwechsel und periodisch wiederkehrender Brache wurde Dinkel, Hafer und in geringem Umfang Roggen als wichtigste Grundnahrungsmittel angebaut; für Brucken und Unterlenningen ist auch Weinabau nachgewiesen. 1513 sind für Unterlenningen die Zelgen „hinder der Burg“, „underm Siechenhaus“ und „underm Dorff“ überliefert, für Oberlenningen finden sich die Namen: „hinder Sanct Nicodemes“, „gen Tobell“ und „gegen Siechenhaus“.
Die Kunde von Bauern, die sich zusammenrotten und für ihre Rechte kämpfen, breitete sich 1524/25 bis in die kleinsten Dörfer aus. Da die Beteiligten des Aufruhrs einen Schwur auf eigenmächtige Bündnisse geleistet und sich somit an einer Verschwörung beteiligt hatten, waren sie eidbrüchig geworden. Aus diesem Grund galten sie als Meineidige, Landfriedens- und Gesetzesbrecher. Infolgedessen begann im Amt Kirchheim Ende Mai die Verfolgung und Gefangennahme der Aufständischen. Federführend bei der Strafverfolgung war der Schwäbische Bund. Er vertrat die Auffassung, nicht nur für die Niederschlagung des Aufstands, sondern auch für die Bestrafung der Aufständischen zuständig zu sein.
Jeder gefangene und abgeurteilte Aufrührer musste Urfehde schwören. Er erhielt dazu ein Dokument, in welchem er beschwor, sich nicht an der Obrigkeit rächen zu wollen sowie die auferlegte Strafe anzunehmen. Damit band er sich wieder an das Landesrecht und konnte freikommen.
Beinahe alle Schritstücke, die von den Bauernunruhen zeugen, sind aus Sicht der „Gewinnerseite“ verfasst. So auch die Urfehden. Sie wurden von den Strafvollzugsinstanzen vorformuliert, die Bestraften hatten keinen Einfluss auf den Inhalt. Dennoch bieten diese Dokumente bemerkenswerte Einblicke in die Lebensrealität der Menschen, Namen und Wohnort der Schwörenden sowie Anlass und Umstand der Inhaftierung werden genannt. In einigen Fällen sind Informationen zu sozialen Umständen, den Familien oder der Stadt- und Dorfgemeinschaft herauszulesen. Und oft ist auch erkennbar, dass ein Geständnis und ein Schwur in der peinlichen Befragung erzwungen wurde.
Aus dem Amt Kirchheim sind insgesamt 91 Urfehden überliefert, davon 15 aus dem Lenninger Tal. Etwa 70 Prozent benennen als Straftat gegen die Herrschaft pauschalierend die „Teilnahme resp. die Beteiligung am Bauernaufruhr“. Diese Generalisierung bot den Vorteil, die Strafverfahren von mitunter mehreren Personen gleichzeitig zügig abzuwickeln und sie aus der Gefangenschaft zu entlassen.
Es werden aber auch sehr konkret „ungehorsame, falsche und leichtfertige Reden“, das Aufwiegeln in Versammlungen, die Bildung eigener Haufen, Plünderungen und Verwüstungen wie z.B. im Dominikanerinnenkloster in Kirchheim oder das Leerfischen von herrschaftlichen Seen angeklagt.
Die Strafen für Vergehen im Bauernkrieg unterschieden sich nicht besonders von denen für Delikte wie Körperverletzung und Ehebruch. Dazu gehörten vor allem solche Sanktionen, die stark in das soziale Leben der Menschen einwirkten und dazu dienen sollten, den Austausch untereinander zu unterbinden. Neben dem Besuch von Versammlungen wurden Wirtshausbesuche verboten. Weiterhin hatte beinahe jeder straffällig gewordene Harnisch, Büchse und Wehr abzugeben, erlaubt blieb lediglich ein abgebrochenes Brotmesser.
Im schlimmsten Fall drohte dem Bestraften eine Ausweisung aus dem Amt oder sogar dem Territorium mit samt der Familie. Ohne vorherige Erlaubnis durfte die Person nicht finden sich in den Quellen wieder eingelassen werden. Im gesamten Raum Kirchheim findet sich in den Quellen kein Nachweis für den Vollzug einer Todesstrafe in Bezug auf die Bauernunruhen! Nach dem Niederschlagen der Aufstände war die Obrigkeit darum bemüht, weitere Unruheherde zu verhüten. Einerseits sind so wohl die milden Strafen für die Region Kirchheim zu erklären. Andererseits wären durch Hinrichtungen Wehrpflichtige sowie Entrichter von Abgaben weggefallen.
In der Forschung zum Bauernkrieg hat sich der Begriff des „Gemeinen Mannes“ etabliert, denn Urfehde schwören mussten alle am Aufruhr Beteiligten gleichermaßen: Bauern, Handwerker, Stadtbürger, Geistliche, Adlige – und auch Frauen, wie das Beispiel der Barbara Silber aus Dettingen zeigt, die als eine Anstifterin des Aufstandes im Amt Kirchheim gilt.(7) Beispielhaft seien genannt Martin Vogel, der immer wieder Fuhraufträge erhielt, Peter Moll, der als Holzhauer arbeitete, Jörg Billing, „der Beckh von Dettingen Schloßberg“ (die Liste seiner Bürgen umfasst 15 Dettinger), und der Torwächter des Ötlinger Tors in Kirchheim, Paulin Lud zusammen mit seiner Ehefrau Scholastica. Zuletzt Jakob Waybel, der Weber aus Oberlenningen, und der berüchtige Müller Peter Bärtsch aus Schlattstall, von dem noch die Rede sein wird.(8)
Exemplarisch: Drei Urfehden aus dem Lenninger Tal
Bei einigen Protagonisten im Aufruhr bieten die überlieferten Urfehden Details aus deren weiteren Lebensverläufen und Schicksalen. Vor allem die pauschalisierten Vorwürfe, auch wenn sie mit präzisierten Anklagepunkten vermischt wurden, machen deutlich, wie sehr die Obrigkeit bemüht war, die Kontrolle über Land und Leute wiederzugewinnen.
I. Hans Bader aus Gutenberg
Die einzelnen Personen des Aufstands erhalten einen Teil ihrer Identität zurück, indem ihre Überlieferung eingehender betrachtet wird. So auch im Fall des Hans Bader aus Gutenberg. Ihm waren drei Vergehen zur Last gelegt worden: Vorwurf 1: Er erlaubte „einigen Leuten“, Fische, die in fürstlichen Gewässern von jenen gefangen worden waren, in seiner Behausung zu essen. Er öffnet also bewusst einen Raum für strafbare Handlungen. Vorwurf 2: Er aß auch selbst von diesen Fischen. Er steigt somit aktiv in den Protest mit ein. Und nicht zuletzt – Vorwurf 3 – war er durch pflichtvergessenen und ungebührliche Reden aufgefallen und stachelte damit zum Aufruhr an. Damit lässt sich bei Hans Bader eine Mischung aus verschiedenen Protestformen ausmachen, bei denen er zum einen eine Plattform für strafbares Verhalten bietet und zum anderen selbst als Unterstützer des Aufruhrs auftritt.

Rammingers Seebuch, Blatt Gutenberg. WLB/Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod.hist.fol.261, fol. 17r.
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Was hat es nun mit dem Fischgenuss, den Bader bei sich zuhause akzeptiert und sogar selbst daran teilnimmt, auf sich? In der ersten Anschuldigung, die gegen Hans Bader vorliegt, ist von „fürstlichen Gewässern“ die Rede, aus denen die gefangenen Fische stammten. Mit ihrem Verhalten zeigten er und seine Mitstreiter deutlich, dass sie das der Herrschaft vorenthaltene Recht auf Fischfang nicht mehr weiter akzeptierten und begehrten in dieser Form dagegen auf.
Mit den „fürstlichen Gewässern“ sind die Gutenberger See gemeint, die schon Ende des 14. Jhd. ewähnt werden und 1442 bei der Teilung der Herrschaft Württemberg an Graf Ulrich fielen. Die Seen dienten ursprünglich der Versorgung der Herrschaft und der Bevölkerung mit Forellen und Karpfen. Bedenkt man, dass diese Fischvorkommen zur Zeit der Bauernunruhen von den Untertanen nur noch gepflegt, aber nicht mehr befischt werden durften, verwundert es nicht, dass sich im Lenninger Tal genau hier Unruhen entzündeten.
Hans Bader war nach dem Ende der Unruhen wohl auf der Flucht, seine Urfehde datiert vom 27. August 1526.(9)
II. Alexander Vischer und Hans Grupp aus Oberlenningen
Ihnen wird vorgeworfen, unbefugt in den Seen des Erzherzogs Ferdinand von Österreich gefischt zu haben. Es wird mit diesem Vorwurf auch explizit ein persönlicher Affront gegen die Person des Erzherzogs formuliert, was einen über die Verletzung der öffentlichen Ordnung hinausgehenden Aspekt hat. Außerdem begaben sich beide zu den Aufständischen nach Kirchheim, was an sich schon eine Form des Protests bedeutete und als genügte das nicht, riefen sie auf dem Weg dorthin „hie Wurtemberg grundt unnd Poden“. Dies bedeutete einerseits eine klare Positionierung für Herzog Ulrich und andererseits eine deutliche Ablehnung der aktuellen Regierung durch die Österreicher.(10)
Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Fischern und dem Verzehr des Fangs in Hans Baders Haus? Die Vermutung liegt nahe, auch wenn in der Urfehde Baders nur von „einigen Leuten“ die Rede ist. Er kam übrigens einigermaßen glimpflich davon. Dagegen wurden Fischer und Grupp zwar auf Fürbitte von der „peinlichen Beklagung“, also Folter befreit, aber dennoch aus Württemberg ausgewiesen. Für Hans Grupp verliert sich hier die Spur.
Alexander Vischer schwört am 27. August 1526 am selben Tag wie Hans Bader, eine weitere Urfehde.(11) Er wird begnadigt und als Einwohner wieder aufgenommen. Er verpflichtet sich, alle Wirtshäuser und Zechen zu meiden und keine Waffen mehr zu tragen außer einem abgebrochenen Brotmesser. Ein Indiz, dass beide gemeinsam in das Fürstentum zurückkamen – der eine war auf der Flucht, der andere war ausgewiesen worden. Ein Hinweis vielleicht auch dafür, dass das Fischen in den Gewässern des Erzherzogs und das Verspeisen seines Eigentums gemeinschaftlich begangen wurde.
III. Peter Bärtsch d. J. und d. Ä., beide von Schlattstall

Mühle bei Schlattstall, Aquarell von Eduard von Kallee vom 3.9.1854
Peter Bärtsch d.Ä.(12) aus Schlattstall, heute ein kleines idyllisches Örtchen, damals gerade einmal mit 8 Einwohnern, war einer der herausragendsten Anführer im Amt Kirchheim. Bärtsch war Lehenmüller, d.h. er hielt eine der Bannmühlen im Tal der Schwarzen Lauter. Die Liste seiner Vergehen ist lang und es laufen bei ihm mehrere Handlungsstränge zusammen. Bärtsch muss darüber informiert gewesen sein, dass sich ein Bauernhaufen auf dem Weg nach Kirchheim befand. So zog er ihnen in Richtung Ebersbach entgegen. Gemeinsam mit seinem Sohn unterstützte er anschließend am 30. April 1525 den Haufen dabei, in Kirchheim einzudringen. Er war einer der Ersten, die das Kloster plünderten und den Klosterwein in Kübeln und Gelten heraustrugen. Er half auch fleißig mit, den Wein aufzubrauchen.
Nachdem der Wein ausgetrunken war, machte sich Bärtsch auf den Weg zurück ins Lenninger Tal. Von den Leuten, denen er unterwegs begegnete, schlossen sich ihm viele an. Bärtsch, wohl beflügelt vom Klosterwein, gab sich als Seemeister aus und befahl, die Seen abzufischen. Ob es die bereits erwähnten zwei Gutenberger Seen waren oder ob es die zwei Schlattstaller Seen [Abb. Kopfbild] waren, die abgefischt wurden, geht aus den Urfehden nicht hervor. Bei den Schlattstaller Seen handelte es sich um zwei kleinere Mühlenteiche oder „Seelein“ mit nicht mehr als 1 m Tiefe, die als Forellenteiche(13) der Herrschaft überliefert sind.
Dass die bisher genannten Hans Bader, Alexander Vischer und Hans Grupp, aber auch der Sohn des selbsternannten Seemeisters, von diesem aufgestachelt mit ihm gemeinsame Sache gemacht haben könnten, ist ein Indizienschluss auf der
Grundlage der Urfehden, der sich jedoch faktisch nicht belegen lässt. Ebensowenig lässt sich nachweisen, dass der Zorn des Müllers Peter Bärtsch gegen die Obrigkeit noch verstärkt wurde, weil er aus den Gewässern, die seine Mühle antrieben nicht für den eigenen Bedarf fischen durfte.
Urfehden als Schlüssel zum Verständnis von Lebenswelten
Für das Verständnis der Lebenswelten von vor 500 Jahren im hiesigen Raum ist die Quellengruppe der Urfehden ein wahrer Schatz. Die Forschungsergebnisse für das Amt Kirchheim/Teck im Zuge des Gedenkjahres werden im Band 40 der Schriftenreihe
des Stadtarchivs Kirchheim veröffentlicht werden. Die öffentliche Vorstellung dieser Publikation wird am 23.10. 2025 in
der Martinskirche stattfinden. Seien Sie herzlich willkommen, sich weiter mit unserer spannenden Geschichte in der Teckregion auseinanderzusetzen!
↑ (1)Bossert, Gustav, d. Ä.: Aus der Zeit der Fremdherrschaft 1519-1534. Kirchheim Stadt und Amt im Bauernkrieg. In: Württembergische Infobücher für Stadt- und Landeskunde 1911-1914, S. 54-69; Bossert, Gustav Martin, d. J.: Der Bauernoberst Marten Feuerbacher. Ein Beitrag zur Geschichte des Bauernkriegs in Altwürttemberg. In: Statistisches Landesamt (Hg.): Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, Jg.1925/26, Stuttgart 1927, S. 1-35.
↑ (2)Der Profos Hans Metzger ist eine Art Feldpolizist, der im Bauernheer für Disziplin sorgt und bei Vergehen aller Art auch Strafen vollstreckt.
↑ (3)Gerichtsakten Grafeneck, Aussage Jörg Blum, Landesarchiv Baden-Württemberg/Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden: HSTAS) H 54 Bü 24, Digitalisat, Bild 51.
↑ (4)HSTAS A 44 U 4926, 1526 III 23.
↑ (5)Claus von Grafeneck macht dazu eine präzise Angabe: Am Kreuzauffindungstag im Jahr 1525, dem 3. Mai, am morgen vngefarlich vmb sechs vren hat Hans Metzger von Besigheim mit seiner Begleitmannschaft auf Befehl der Obersten und des ganzen Haufens [sic] das fürstliche Haus Teck angezündet und verbrannt.
↑ (6)Nach einer Notiz in den Gerichtsakten hätte der Profos zunächst zugesagt, den Schlossberg nicht zu verbrennen, aber ettliche zum „hausen“ hinauf zu schicken. Vom Haufen kam jedoch der Befehl, er sole den schlosberg anzinden und verbrenen. Denn der Haufen stünde auf der Hahnweide abmarschbereit, wolle aber keinen Tritt tun, bevor nicht der Schlossberg brennt. Gerichtsakten Grafeneck, HSTAS H 54 Bü 24, Digitalisat, Bild 52.
↑ (7)Urfehde der Barbara Silber, HSTAS A 44 U 2104. Der Vorwurf: Sie habe den Bauernaufstand mit unnützen Worten unterstützt und allen christlichen Tugenden zuwider der lutherischen Lehre angehangen und auch andere zu dieser Lehre zu bekehren versucht. Die Strafe: Sie muss unverzüglich die Stadt und das Amt Kirchheim verlassen und darf nur mit Erlaubnis der Obrigkeit zurückkehren.
↑ (8)HSTAS A 44 U 1975, 1962, 2114, 1965, 2220 und 2327 sowie 2328.
↑ (9)HSTAS A 44 U 2166, 1526 VIII 27.
↑ (10)HSTAS A 44 U 2222 (Hans Grupp) und 2223 (Alexander Vischer), beide 1525 VII 17.
↑ (11)HSTAS A 44 U 2228, 1526 VIII 27.
↑ (12)HSTAS,A 44 U 2328, 1526 VII 27, Peter Bärtsch d.Ä.; A 44 U 2327, 1526 VI 18, Peter Bärtsch d.J., Sohn des älteren Peter Bärtsch, „weil er sich an hochstrafbaren Handlungen seines Vaters beteiligt hatte“.
↑ (13)Rammingers Seebuch, Schlattstaller Seen: „Zwai Claine Vornen Weiherlin“. „Vornen“ = verballhornt für Vorhennen; Lemma vorhenne in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisiert im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache.