Abbruch des Kirchheimer Tors

Abbruch des Kirchheimer Tors
Ob das Kirchheimer Tor 1816, das in den Bürgermeisterrechnungen auch immer wieder Grabentor genannt wird, im Jahr 1816 oder in einem der Jahre davor abgebrochen wurde, lässt sich nicht ermitteln. Auf einigen Umwegen geben die Archivalien aber doch eine ungefähre Vorstellung von dem, was sich ereignet hat.

Im Jahr 1717 ist das Kirchheimer Tor einsturzgefährdet(1). Die Türmerwohnung über dem Tor wird abgebrochen und in Fachwerkbauweise wieder aufgerichtet. Die Torkammer aus Stein dürfte unverändert weiter bestanden haben. Über den Zustand des ganzen Baus – steinerne Torkammer und aufgesetztes Fachwerkgeschoss – gibt eine Rechnung aus dem Jahr 1794 Aufschluss(2). Es werden an dem Thurn bei dem Grabenthor zwey neue Pfeiler neu aufgemaurt, um den Bau zu sichern. Zur Türmerwohnung führte eine Außentreppe mit Dach, auf diesem wurden Blatten gestossen, also die Dachdeckung repariert. Das Thürengericht(3) am Zwinger [wurde] gespannt und ausgemaurt und für diese Arbeiten stellt der Maurer Heinrich Winter für sich und seine drei Gesellen sieben Arbeitstage in Rechnung. Der Stadt scheint die Rechnung jedoch zu hoch gewesen sein, denn nach einer gerichtlichen Moderation wurden ihm nur 10 Gulden zugestanden.(4)

In Kiesers Forstkartenwerk(5) zeigt sich das „Stättl Owen“ aus nördlicher Blickrichtung. Die Darstellung ist nicht realitätsgerecht; es fehlt der gesamte Teil der Stadt östlich des Kirchheimer Tors. Es kam Kieser auch nicht auf Detailtreue an, gezeigt werden sollte das charakteristische Erscheinungsbild der Stadt mit der Oberstadt und den beiden Toren und der Unterstadt mit der Marienkirche. Zu sehen ist das Kirchheimer Tor im Vordergrund, dahinter das mächtigere Obere Tor. Am Kirchheimer Tor ist die Zweiteilung des Baus zu erkennen: unten der eigentliche Torbau und darauf aufgesetzt die Türmerwohnung, in den Archivalien meist als „der Turm“ bezeichnet.

Im Jahr 1803 scheinen das Tor und der darauf sitzenden Turm in einem leidlich guten Zustand gewesen zu sein. Am 23. August bittet der Schreiner Johannes Heim untertänigst, ihme den auf dem Thor Kirchh[eim] zu befindl[ichen] Thurm darauf käuflich zu überlaßen um eine Wohnung darin richten zu können. Da [gemelter] Thurm der [Comun; gestrichen] ehedem vor einen Thorwarth oder Hochwächter erbaut seyn dorfte niemalen mehr dazu anwendbar seyn werde, derselbe von der Comun in Tach [= Dach] mit kosten erhalten werde und man kein nuzen mehr davon erhalten werde. So seye man von Seiten des Gerichts nicht entgegen, wann solcher Verkauff werde andigt [= geendigt] aber nicht als Sub Cassa.(6) Der Kauf soll also erfolgen, der Kaufpreis aber nicht bar entrichtet werden, was Folgen haben wird.

23.09.1803: Verkauf des Turms auf dem Kirchheimer Tor an den Schreiner Heim

Einen Monat nach dem Kaufersuchen geht der Verkauf vonstatten. Noch am gleichen Tag wird im Unterpfandsbuch für den Schreiner Heim eine Schuld in Höhe von 100 Gulden eingetragen: Den Thurm auf dem Kirchheimer Thor, so auf 2 Thorbogen steht, den obern Stock 9 Schu hoch und 27 Schu breit auch 26 Schu lang samt dem Tachwerck. Von der comun Sub 23. 7br [= September] verk[auft] pro 100 f (Gulden). Der auf den Torbogen stehende Turmaufbau war demnach – mit dem Württemberger Schuh zu 0,25 mtr gerechnet – 7,74 mtr breit, 7,45 mtr lang und 2,58 mtr hoch, hatte also einen fast quadratischen Grundriss. Der Eintrag im Unterpfanddsbuch gibt mit einigen Abweichungen den Worlaut des Kaufvertrages wieder, der die Kaufsumme als entrichtet verzeichnet: 100 f   Einhundert Gulden Baar Geldt.(7)

15.11.1803: Verwirrendes nach dem Verkauf

Am 12. November 1803 meldet Johannes Heim den Turm über dem Tor für die Feuerschadenversicherung im Wert von 200 Gulden an – zur Erinnerung: der Kaufpreis betrug 100 Gulden. Von der Stadt werden ihm für sein „Bauwesen“ Steine von der Stadtmauer um 4 Gulden zugesagt. Und weiter heißt es: der bogen und die thor sollen am nächsten dienstag im aufstreich verkauft werden. Am 15. November ist der Verkauf der Steine in den Büchern verzeichnet, das Bauvorhaben Heims ist nicht näher beschrieben; dass die Steine, die er erhält, aus dem Abbruch der Stadtmauer stammen könnten, lässt sich nur vermuten. Und warum zeitgleich der „erste Bogen samt dem Pfeiler an der Barnerin Haus“ und „3 alt Thor“ – gemeint ist wohl der innere Torbogen des Tors sowie drei Torflügel – an Johann Jakob Bertsch verkauft werden, bleibt ein Rätsel(8).

07.10.1816: Da nun der Thurm abgebrochen worden ist …

Johannes Heim stirbt am 8. September 1815. Bei der Aufnahme des Nachlasses stellt sich heraus, dass der Schreiner der Stadt den Kaufpreis von 100 Gulden nie bezahlt hat. Die Schuld geht im Erbgang auf seine Witwe über. Da sie aber die Schuld nicht begleichen kann, wird am 7. Oktober 1816 im Unterpfandsbuch eine Hypothek von 400 Gulden auf ihr neu erbautes Haus eingetragen.(9)

Die Höhe der Hypothek ergibt sich aus dem Inventurbuch(10). Am 3. Oktober ist notiert: Eine in den Zwinger erbaute 2-stokigte Behaußung am Kirchh[eimer] Thor in der Stadt neben dem Stadtgraben […] vornen die Landstraß, hinten der zwinger. Wert des Gebäudes: 400 Gulden.

Der Eintrag im Unterpfandsbuch gibt über die Fährnisse der Nachlassregelung des Schreiners Heim hinaus zwei wichtige Informationen zur Stadtbefestigung am Kirchheimer Tor: 1. Das Kirchheimer Tor ist im Jahr 1816 abgebrochen. Die Wohnung, die sich Heim im Oberstock des Tors eingerichtet hat, gibt es nicht mehr. Seine Witwe baut sich deshalb ein neues Haus. 2. Dieses Haus ist im Stadtgraben erbaut. Es steht unmittelbar neben der Grabenbrücke, nicht in der Tiefe des Grabens, sondern im Zwinger. Der Zwinger verlief also ehemals auf der gesamten nördlichen und auch auf der östlichen Partie der Stadtbefestigung.(11)

So könnte das Kirchheimer Tor ausgesehen haben

Der Unterbau des Kirchheimer Tors, das eigentliche Tor, hat zwei Torbogen, der Grundriss der Torkammer ist beinahe quadratisch. Ob die Torkammer mit zwei Toren verschlossen werden konnte, kann nur vermutet werden. Der Turm auf dem Tor wurde 1717 in Fachwerkbauweise ausgeführt – im Kaufvertrag mit aichenen Stok bezeichnet.

Das Bild links zeigt im Ausschnitt das „Stättl Owen“, das Bild rechts das 1496 errichtete Obere Tor in Lauda-Königshofen(12). Der Torturm gibt eine Vorstellung davon, wie das Kirchheimer Tor, bei Kieser nur als Schema erkannbar, ausgesehen haben könnte. Die im Ansatz links und rechts erkennbaren Holztore zeigen wohl den ehemaligen Zwingerverlauf an. So erklärt sich das „Thürengericht“ am Zwinger beim Kirchheimer Tor als ein zweites, vorgelagertes Tor. Siehe hierzu Kammertor.


Quellennachweise:
Kopfbild: Ausschnitt aus der Kieserschen Forstkarte zum Amt Kirchheim, Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, LMZ028109.
(1)StA Owen, OR 61, fol. 128r/v.
(2)StA Owen, OR 130, fol. 115r.
(3)Thürengericht: Das Türgericht – das Türgerüst – besteht aus der Schwelle, zwei Pfosten oder Säulen und einem Sturz oder Bogen, jedoch ohne die Tür.
(4)StA Owen, OR 130, fol. 115r.
(5)Zum Kieserschen Forstkartenwerk vgl. Landesarchiv Baden-Württemberg, Findbuch H 107. Es existieren noch Digitalisate beim Landesmedienzentrum Baden-Württemberg sowie beim Staatsarchiv Ludwigsburg, Findbuch EL 228 a I. – Abbildung zum „Stättl Owen“: Rudolf Locher, Das alte Owen. Hrsg. Bürgermeisteramt Owen, ohne Jahr, zwischen S. 24 und 25, kolorierter Ausschnitt aus der Forstkarte zum Amt Kirchheim. Über die Herkunft des Bildes ist nichts bekannt.
(6)StA Owen, OB 20, 1796-1804, „Actum d. 23. Aug. 1803“.
(7)StA Owen, OB 339, fol. 41r (Unterpfandsbuch II 1800), OB 307, fol. 86v-87r (Kaufbuch).
(8)StA Owen, OB 20 (Gerichtsprotokoll zur Feuerschadenversicherung, ohne Folierung), OR 139, fol. 44r.
(9)StA Owen, OB 339, fol. 188r.
(10)StA Owen, (OB 456, fol. 543r.
(11)Landratsamt Esslingen, Amt für Geoinformation und Vermessung, Urnummernkarte NO VII 26. Das Haus ist mit der Nummer 24 verzeichnet; es wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt abgebrochen. In Verbindung mit der Karte NO VII 27 ist die Annahme naheliegend, dass die Stadt Owen einmal vollständig von einer Stadtmauer mit einem vorgelagerten Zwinger umschlossen war.
(12)Landesarchiv Baden-Württember/Staatsarchiv Freiburg, W 134 Nr. 061404b Bild 1, Sammlung Willy Pragher.
Die Abbildung der digitalisierten Texte des Stadtarchivs Owen sowie deren Transkription, angefertigt von Dipl.-Archivarin (FH) Gabriele Mühlnickel-Heybach, unterliegen dem urheberrechtlichen Schutz nach CC Creativ Commons.