125 Jahre Teckbahn

Ein Personenzug verlässt den Bahnhof Owen, gezogen von einer Lok Typ T3. Hinter der Lok laufen ein Packwagen, ein neuerer und zwei ältere Vierachser und ein Stückgutwagen mit Bremserhaus. Ausschnitt aus einer Aufnahme August 1902. Bildnachweis: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Gebr. Metz, Bild # 2284 (Glasplattensammlung).
Historie der sogenannten „Teckbahn“ im Lenninger Tal

Als am 28. September 1899 der Streckenabschnitt Kirchheim unter Teck – Oberlenningen feierlich eingeweiht wurde, ging es im Lenninger Tal hoch her, hatte doch König Wilhelm II. von Württemberg seine Teilnahme an der Eröffnungsfahrt zugesagt und kam eigens mit dem Hofzug von Bebenhausen her angefahren.

Es war eine imposante Fahrt das Tal hinauf. „An jedem Bahnhof stieg der König aus, begrüßte die Gemeinde- und Vereinsvertreter, die Jugend und die ganze Bevölkerung. Nur an der kleinen Station Brucken vergaß der Lokomotivführer versehentlich zu halten; der enttäuschten Bevölkerung schickte der König, als er von diesem Mißgeschick Wochen später erfuhr, ein Bild von sich und seiner Gemahlin, das im Rathaus aufgehängt wurde. Allgemeine Beachtung fand bei der Hinfahrt der Postwagen am Straßenübergang bei Owen; auf dem Bock saßen zwei blasende Postillons, die dem König ihre Huldigung darbrachten und gleichzeit von ihrem Amt als Postbeförderer Abschied nahmen.“(1)

Das frühe Eisenbahnzeitalter im Königreich Württemberg

Im ersten Drittel des Jahrhunderts begann auch im Königreich Württemberg das Nachdenken über den Bau von Eisenbahnlinien. Zum Einen wurde die Meinung vertreten, Württemberg als ackerbautreibendes Land mit wenig Handel brauche keine Eisenbahn. Zum Anderen könne erst mit dem Bau von den Staat durchquerenden Eisenbahnlinien begonnen werden, wenn die Anschlüsse an die Nachbarstaaten gesichert seien, im Übrigen sei aber kein Bedarf für innerwürttembergische Strecken vorhanden. Zum Dritten aber sprachen sich die Abgeordnetenkammer und die Kammer der Standesherren für einen baldigen Bau von Eisenbahnstrecken aus.

Schließlich schuf das „Gesetz, betreffend den Bau von Eisenbahnen.“ die Grundlagen für den Bau von Hauptbahnen auf Staatskosten. Diese sollten „den Mittelpunkt des Landes, Stuttgart und Cannstatt, auf der einen Seite durch das Filsthal mit Ulm, Biberach, Ravensburg und Friedrichshafen, auf der andern Seite mit der westlichen Landesgrenze, so wie in nördlicher Richtung mit Heilbronn verbinden.“ Privatunternehmer sollten die Möglichkeit erhalten, nach der Konzessionierung durch die Regierung sogenannte Zweigeisenbahnen zu bauen.(2)

Der Bau dieser Magistralen schritt zügig voran, 1854 waren die Hauptstrecken gebaut. Für die sogenannte Ostbahn nach Ulm war das größte Hindernis die Schwäbische Alb. Die kurze und steile Rampe der Geislinger Steige weist eine Steigung von bis zu 22,5 ‰ (= 1:50) auf, die Fertigstellung erfolgte 1850. Nach einer mehrjährigen Pause begann man mit dem Ausbau der Oberen Neckartalbahn, der Remstalbahn und der Kocherbahn. Die Basis für den Bau von Zweigeisenbahnen nach dem Gesetz von 1843 war also geschaffen, doch allein, es mussten noch viele Hindernisse überwunden werden, bis die Teckbahn gebaut werden konnte. Die Abbildungen rechts zeigen den Stand des Ausbaus der Staatsbahnen 1850 und 1870.(3)

Der Kampf um die Kirchheimer Eisenbahn-Gesellschaft

Die württembergische Oberamtsstadt Kirchheim unter Teck bemühte sich schon früh darum, an die Staatsbahn angeschlossen zu werden. Deren Streckenführung sollte über die Oberamtsstadt Kirchheim unter Teck gelegt werden. Aber sowohl beim Bau der sogenannten Ostbahn [Streckenast Stuttgart-Geislingen-Ulm; Ausbaustufe 1850] in den Jahren 1845-50 wie auch 1859 beim Bau der Oberen Neckartalbahn [Streckenast Plochingen-Tübingen, Ausbaustufe 1870] wurde der Wunsch Kirchheims nicht berücksichtigt.

Gerade um den Bau der Oberen Neckartalbahn wurde im Württembergischen Landtag erbittert gestritten. Ging es 1851 um die grundsätzliche Frage, ob überhaupt und wenn ja auf Staatskosten oder als Privatbahn gebaut werden sollte, ging es 1853 in der ebenfalls erbittert geführten Debatte darum, ob die Strecke über Kirchheim geführt werden solle.(4) Eine Delegation der Kirchheimer Geschäftswelt unter der Führung des Fabrikanten Rudolf Schüle wurde vom Finanzminister Christian von Knapp mit den Worten „Was wollt denn ihr mit Euren paar Kirschenkörben.“ brüsk abgewiesen.(5)

Kirchheim gab nicht auf.1860 konstituierte sich ein Eisenbahnkomitee, welches sich am 13.08.1860 unter Hinweis auf den seit 1836 in Kirchheim stattfindenden Württembergischen Haupt-Landes-Wollmarkt an die Königlich Württembergische Staats-Eisenbahn (im Folgenden: KWStE) wandte und beantragte, dass eine Zweiglinie von Unterboihingen (seit 1940 ein Stadtteil der Stadt Wendlingen am Neckar) nach Kirchheim gebaut werden solle. Seitens der KWStE wurde dieses Ersuchen mangels zu erwartender Rentabilität abgelehnt.(7) Das Kirchheimer Eisenbahn-Komitee ließ jedoch nicht locker und beantragte am 07.10.1860 mit Verweis auf das Gesetz vom 18.04.1843 die Zweigeisenbahn auf eigene Rechnung bauen zu dürfen.

In einer turbulenten Sitzung des Landtags am 23.09.1861 wurde noch einmal aufs Schärfste gestritten. Der Finanzminister Christian von Knapp zog sich wie üblich auf finanzielle Bedenken im Hinblick auf die durch den Eisenbahnbau stark belastete Staatskasse zurück. Der Abgeordnete Moritz Mohl zeigte sich noch einmal als glühender Gegner jeder Art von Zweig-Eisenbahn und lieferte sich mit dem Kirchheimer Abgeordneten Heinrich von Idler einen heftigen Schlagabtausch.(8) Zum Sitzungsende wird der Antrag des Kirchheimer Abgeordneten Heim, die hohe Kammer wolle beschließen, die K. Regierung zu ersuchen, sie möge die beabsichtigte Herstellung einer Seitenbahn von Unterboihingen nach Kirchheim durch eine Privatgesellschaft nicht erschweren, mit 67 gegen 18 Stimmen angenommen und der Kammer der Standesherren zugeleitet.(Beilage 397)

Der Weg für die erste Privatbahn im Königreich Württemberg war frei. Am 28. März 1863 gründete sich die Kirchheimer Eisenbahn-Gesellschaft (im Folgenden: KE), zum Vorstand wurde Rudolf Schüle gewählt. Öffentliche Mittel der Amtskörperschaft und der Stadt, ein zinsgünstiges Darlehen des Kronprinzen Karl und 700 Aktien zu je 500 Gulden brachten das erforderliche Kapital zusammen. Am 8. März 1964 erfolgte der Spatenstich, bereits am 21. September wurde nach nur sechs Monaten Bauzeit der Betrieb auf der 6,4 km langen Strecke aufgenommen.

Die KWStE zeigte sich aufgeschlossen gegenüber der neuen Privatbahn, wohl auch, weil der württembergische Kronprinz zu den Aktionären gehörte. Die KE konnte gebrauchte Lokomotiven, Personenwagen zu günstigen Preisen von der KWStE kaufen; für den Übergang von Staatsbahn-Güterwagen auf die KE und von Lokomotiven und Wagen auf das Streckennetz der KWStE wurden günstige Konditionen vereinbart.

Der Betrieb der KE entwickelte sich, anders als vom früheren Erzfeind Moritz Mohl und dem zögerlichen Finanzminister von Knapp behauptet, ausgesprochen gut. In den 35 Jahren ihres Bestehens nutzten jährlich zwischen 85.000 und 207.000 Fahrgäste die Bahn, wobei der Durchschnitt bei rund 106.000 Fahrgästen pro Jahr lag. Das Güteraufkommen verfünffachte sich zwischen 1865 und 1897 von 13.191 Tonnen auf 66.941 Tonnen pro Jahr. Einst als in kürzester Frist in den Bankrott fahrende Sackbahn geschmäht, wurde die KE so von Jahr zu Jahr ein attraktiverer Übernahmekandidat.

Das Ende der KE kam mit dem Ablauf der auf 35 Jahre erteilten Konzession. Zum 01.01.1899 übernahm die KWStE die Strecke samt Fahrzeugen, Oberbauten und Personal (sofern diese nicht altershalber in den Ruhestand traten) zum Preis von 812.000 Mark. Nach Abzug der noch bestehenden Verbindlichkeiten wurde der Restbetrag auf die ausgegebenen Aktien verteilt. Auf jede Aktie entfiel dabei ein Ertrag von 1.652 Mark. Da die für seinerzeit 500 Gulden ausgegebene Aktie anlässlich der Währungsreform 1871 mit 800 Mark bewertet worden war, hatte sich ihr Wert in den 35 Jahren mehr als verdoppelt.(9)


Um 1850 ist die Nord-Süd-Magistrale gebaut. Der Westen und der Norden Württembergs sind noch nicht erschlossen.
 

Das Streckennetz erfasst um 1870 bereits alle Regionen Württembergs. Die Zweig-Eisenbahn nach Kirchheim kommt erst 1876.
 

Die ersten Lokomotiven der KWStE kamen aus Amerika von den Firmen Norris und Baldwin. Sie wurden in der Reihenfolge der Beschaffung mit den römischen Ziffern I bis II klassifiziert, die Nachbauten erhielten die Klassen III bis VII. Ab 1858 wurde das System auf die Großbuchstaben A bis F umgestellt; dieses System behielt seine Gültigkeit bis 1920.(6)
Das Bild zeigt die 1846 gebaute 2´B-Lok CANNSTATT (Betriebs-Nr. 9), die 1864 an die Kirchheimer Eisenbahn-Gesellschaft verkauft wurde und den Namen TECK erhielt.
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Gesetz zum Eisenbahnbau vom 18. April 1843, im vollen Wortlaut ➤ lesen.
 

Bahnhofsgelände Kirchheim unter Teck vor 1899. Links das Stationsgebäude des Kopfbahnhofs, die Endstation der 1. Privatbahn Württembergs. Im Hintergrund die Fa. Kolb & Schüle AG.
[Bildentnahme: Teckbote, 28. September 1974, S. 41]
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Kirchheimer Kopfbahnhof im Jahr 1864. Vor dem Gebäude wartet die königliche Postkutsche auf Fahrgäste. Gemälde von E. L. Ostermayer.
[Bildentnahme: Frasch (1985), S. 323]

Die „Teckbahn“ wird eröffnet

Mit der Verstaatlichung der Kirchheimer Eisenbahn-Gesellschaft war der Weg frei für eine Verlängerung der Zweig-Eisenbahn Unterboihingen – Kirchheim unter Teck bis Oberlenningen. Schon im Jahr 1892 war der Fabrikbesitzer Carl Scheufelen mit dem Plan, die Eisenbahn von Kirchheim nach Oberlenningen weiterzubauen, an die Öffentlichkeit getreten. Er lud die Gemeindevorsteher und die wichtigsten Fabrikbesitzer an der Strecke zu einer ersten Besprechung nach Owen ein. Er rechnete vor, um wieviel rationeller der Fuhrbetrieb im Tal gestaltet werden könnte, wenn nicht jeden Tag mit vielen Pferde- und Ochsengespannen Kohlen von Kirchheim in seine Fabrik nach Oberlenningen und das produzierte Papier aus der Fabrik nach Kirchheim gebracht werden musste. Ganz abgesehen davon, dass auch die Arbeiter, die aus den Nachbarorten zur Arbeit in die Fabrik pendelten, ihren Nutzen davon hätten.(10)

Die Argumente Scheufelens verfehlten ihre Wirkung nicht. Etlichen Widersachern zum Trotz wurde ein Komitee, bestehend aus den Ortsvorständen von Kirchheim, Dettingen, Owen, Oberlenningen und den Herren Leuze, Scheufelen, Weise, Gutekunst und dem Kunstmüller Schäfer gebildet, der Stadtschultheiß zum Vorsitzenden gewählt und im Jahr 1893 eine Eingabe an die Kammer der Abgeordneten wegen Erbauung einer normalspurigen Bahn von Kirchheim nach Oberlenningen eingereicht. Nach vier Jahren, in denen die Eingabe unbearbeitet blieb, kam endlich Bewegung in die Sache. Die Amtskörperschaft erklärte sich zu einer Beteiligung mit 50.000 Mark und der nötigen Garantie für den Bau bereit, dies aber nur unter der Bedingung, dass die Lenninger Talbahn der Anfang einer direkten Verbindung über Böhringen – Laichingen nach Ulm sein müsse. Nachdem einer derartigen Albüberquerung seitens der Regierung eine Absage erteilt wurde, zog die Amtskörperschaft ihre Zusage wieder zurück. Als staatlicherseits verlangt wurde, dass der Grunderwerb für den Bau von den Hauptbeteiligten aufgebracht werden müsse, ging die Gemeinde Dettingen mit gutem Beispiel voran, die anderen Gemeinden, auch Kirchheim folgten, die Fabrikbesitzer schlossen sich an und auch die Amtskörperschaft sagte wieder 50.000 Mark zu.

So konnte schließlich im Frühjahr 1897 doch noch mit dem Bau der Bahn begonnen werden Es galt allerdings zunächst, für die Gleise ins Lenninger Tal den Weg frei zu machen. Der Kopfbahnhof stand im Weg. Er wurde abgebrochen, um 90 Grad gedreht und um einige Meter nach Westen versetzt unter weitgehender Verwendung des Abbruchmaterials im gleichen Stil wieder aufgebaut. Der „neue alte Bahnhof“ stand nun parallel zu den Gleisen, die in elegantem Bogen den Postplatz überquerten und in die Lücke zwischen den Gebäuden bei der Post einbog. Das bereitete mit den Jahren zunehmend Probleme, denn jeder nach Oberlenningen abfahrende oder in den Bahnhof aus dem Tal einfahrende Zug, aber auch bei jeder Rangierfahrt musste der Postplatz für Fußgänger und Fuhrwerke gesperrt werden.

Aber zunächst war es am 28. September 1899 so weit, dass die Eröffnungsfeier erfolgen konnte. Die Begeisterung der Bevölkerung kannte keine Grenzen, denn bald nach dem Extrazug mit dem Ministerpräsidenten Mittnacht kam auch König Wilhelm II. mit dem Hofzug von Bebenhausen zur Einweihung der neuen Strecke angefahren. Die Feuerwehrmusik spielte den Präsentiermarsch, der betrat den „Bahnhof-Perron“, schüttelte allen Honoratioren die Hand, schritt die Reihe der angetretenen Feurwehr, der Militär- und Kriegervereine und der versammelten Schülerinnen und Schüler ab. Dem Stadtvorstand Kröner wurde der Friedrichsorden I. Klasse verliehen. Dann ging es auch schon weiter ins Tal hinauf. In Oberlenningen angekommen, begab sich der König zusammen mit zahlreichen Gästen in die nahegelegene Villa Scheufelen, um ein Gabelfrühstück einzunehmen und schon bald darauf fuhr er mit dem Hofzug wieder ab nach Bebenhausen.(11)

Das nebenstehende Bild verrät nicht, welche Klasse die dem Hofzug vorgespannte Lok hatte. Von Bebenhausen bis Kirchheim dürfte es eine Klasse A- oder Klasse B-Lokomotive gewesen sein, die für den Unterbau der neuen Nebenbahn zu schwer waren. Lokomotiven der Klassen E und F waren Güterzugloks, die grundsätzlich nicht vor Personenzügen eingesetzt wurden. Und die Klasse D-Loks waren leichte Schnellzugmaschinen und mit Ausnahme der T3-Lokomotiven waren alle Tender-Umbau-Loks der verschiednen T-Klassen einschließlich der Tk-Klasse (auf die noch zurückzukommen sein wird) zu schwach für die Strecke nach Oberlenningen. Dirk Übbing, der hier über ein umfangreiches Wissen verfügt, tippt darauf, dass zwei [!] T3-Lokomotiven vor den Hofzug gespannt wurden, was wiederum zur Vermutung Anlass gibt, dass außer dem schweren Abteilwagen des Königs noch weitere Wagen im Zug eingereiht waren, in denen viele Festgäste Platz genommen hatten.(12)


Der Kirchheimer Bahnhof 1904. Weit hinten im Hintergrund vor dem Postgebäude scheinen die Gleise zu enden; sie sind jedoch durch einen Erdhaufen verdeckt und ziehen in die Lücke zwischen dem Postgebäude und dem davor stehenden Haus.
Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Gebr. Metz, Bild # 13599 (Glasplattensammlung).
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König Wilhelm II. von Württemberg wird am 28. September 1899 auf dem Vorstadtbahnhof von Kirchheim – heute die Station Kirchheim-Süd – durch Farbrikant Weise begrüßt.
Hinter den neben dem Wagen stehenden Eisenbahnbediensteten ist die offen stehende Abteiltür zu erkennen, König Wilhelm reist demnach in einem Abteilwagen. Welche Lok dem Zug vorgespannt ist, ist im Bild nicht zu erkennen.
[Bildentnahme: Teckbote, 28. September 1974, S. 40]

Am Tag vor der Einweihung kam es bei einer Probefahrt zum ersten Unfall (dem in den Jahren danach weitere folgen sollten). In Owen waren drei mit Kies beladene Güterwagen abgekuppelt und nicht oder nicht genügend gebremst worden. Sie machten sich selbstständig auf den Weg zurück nach Kirchheim, nahmen die schienengleichen Bahnübergänge ohne Probleme, aber in Kirchheim war es mit der unfallfreien Fahrt vorbei. Ein Kuhgespann überquerte die Gleise, die Kühe mussten daran glauben, der Bauer kam davon, er war rechtzeitig abgesprungen.(13) Bei der Eröffnungsfeier am folgenden Tag ging dann alles programmgemäß, mit Böllerschüssen und Glockengeläut zu Ehren König Wilhelm II. von Würtemberg. So wurde dem Fabrikanten Carl Scheufelen, mittlerweile Commerzienrat, doch noch Genugtuung für seine Mühen um den Eisenbahnbau.

Historie der Namen – die sogenannte „Teckbahn“ und die Lokomotive TECK

Vom Volksmund, aber auch von offizieller Seite wurden der Zweig-Eisenbahn Unterboihingen – Kirchheim unter Teck und der Weiterführung nach Oberlenningen unterschiedliche Namen gegeben. Schon bei der festlichen Einweihung der Strecke Unterboihingen – Kirchheim unter Teck im Jahr 1864 hatte ein Spottvogel an seinem Haus ein mit einem Laubgewinde umrahmtes Bild aufgehängt, auf dem zwei Geißen einen Eisenbahnwagen zogen. Darunter stand: „Zur Eröffnung der Zwei-Geisenbahn Kirchheim u.Teck – Plochingen“.(14) In der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Papierfabrik Scheufelen findet sich der Name „Scheufelen-Bahn“(15) und gelegentlich wird auch von der „Tälesbahn“ gesprochen. Das aber ist eine Verwechslung, denn die offizielle „Tälesbahn“ fährt auf der Strecke Nürtingen – Neuffen.

In der Drucksache 14/67 vom 28.06.2006 des Landtags von Baden-Württemberg(16) taucht für den Abschnitt Wendlingen – Kirchheim unter Teck erstmals die Bezeichnung „Große Teckbahn“ auf. In Drucksachen zu Bauarbeiten am Abschnitt Kirchheim – Oberlenningen wird die Strecke als „Kleine Teckbahn“ bezeichnet.(17) Im Volksmund haben sich die Namen „Talbahn“ oder „Teckbahn“ für die Lenninger Talbahn, die schon 1908 im Verwaltungsbericht der Königlich Württembergischen Verkehrsanstalten als „Lenningertalbahn“ bezeichnet wird, (18) eingebürgert.

Alle Lokomotiven der Württembergischen Staatsbahn bekamen bis 1896 Namen von württembergischen Flüssen, Städten und Bergen, z.B. ESSLINGEN, STUTTGART, DONAU, NECKAR, TECK, Schnellzugmaschinen ausgreifend außerwürttembergische deutsche und ausländische Namen. Eine Besonderheit war wohl, dass die Namen nach den Einsatzorten der Lokomotiven vergeben wurden. Bei einer Umsetzung auf eine andere Strecke wurde auch der Name geändert.

Im Jahr 1849 bekam die Lokomotive mit der Betriebsnummer 28 als erste den Namen TECK. Als die KE 1864 den Betrieb aufnahm, wünschte sie sich für ihre Lokomotiven die Namen TECK und KIRCHHEIM. Die KWStE benannte die TECK um in GLATT; die KE erhielt zwei Lokomotiven der gleichen Bauart (Achsfolge 2´B; siehe dazu die Abbildung oben): die ehemalige CANNSTATT erhielt den Namen TECK, die ehemalige EYACH den Namen KIRCHHEIM. [Abb. Muehl-Seidel # 33] Anschließend vergab die KWStE die Namen TECK und KIRCHHEIM erneut an Maschinen im eigenen Lokomitvenbestand, diese Lokomotiven hatten die Achsfolge C, d.h. 3 gekuppelte Treibachsen. Sie behielten ihren Namen bis zur Umbenennung im Jahr 1899 in ROTH und ACH. ANMERKUNG [Abb. Muehl-Seidel # 36]

In den Jahren 1876 bzw. 1877 beschaffte die KE neue Lokomotiven bei der Maschinenfabrik Eßlingen. Die alten Maschinen wurden in Zahlung gegeben, die neuen Tenderlokomotiven wurden in die Klasse Tk mit den Betriebsnummern 1 und 2 eingereiht und erhielten die Namen TECK und KIRCHHEIM. Es entstand so die Situation, dass jeweils zwei Lokomotiven mit dem gleichen Namen fuhren, allerdings – und das gilt es zu beachten – für zwei unterschiedliche Unternehmen: Für die KWStE auf den Staats- und Hauptstrecken, für die KE auf der Nebenlinie Unterboihingen – Kirchheim unter Teck.(19)

1899 wurden die beiden Tenderlokomotiven TECK und KIRCHHEIM zusammen mit der KE durch die KWStE übernommen. Sie behielten ihre Namen und blieben im Einsatz bis 1915 (TECK) und 1911 (KIRCHHEIM). Sie wurden aber von der Zweig-Eisenbahn Unterboihingen – Kirchheim unter Teck abgezogen, weil sie für die im gleichen Jahr eröffnete Strecke Kirchheim unter Teck – Oberlenningen mit einer Steigung von bis zu 20 ‰ (= 1:50) nicht eingesetzt werden konnten. Stattdessen fuhren zwar gleichstarke Lokomoktiven der Klasse T3 mit 300 PS auf der nun bestehenden „Teckbahn“, die mit drei Treibachsen im Adhäsionsbetrieb trotzdem leistungsstärker waren.

Die Lok TECK fuhr nicht auf der sog. „Teckbahn“. Und man stellt nicht ohne Erstaunen fest, dass die sog. „Teckbahn“ im offiziellen Sprachgebrauch und eigentlich immer die „Lenningertalbahn“ [siehe oben, Verwaltungsbericht von 1908] war und dass auf die traditionsreichen Nebenbahnlinie nie eine Lokomotive mit dem Namen TECK im Einsatz war. Es waren immer Lokomotiven vom Typ T3.


Lok Schramberg, Klasse F, Achsfolge C; eine Lok dieses Typs der KWStE trug den Namen TECK und wurde 1899 in ROTH umbenannt.
[Bildentnahme: Mühl-Seidel (wie Anm. 6), Bild Nr. 36 und Skizze 9].
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Lok Teck, Klasse Tk, Achsfolge B1; in Dienst gestellt 1876, 1899 zusammen mit der KE von der KWStE übernommen und nach Reutlingen versetzt. Die Lok behielt ihren Namen bis zum Schluss 1915.
[Bildentnahmen: siehe Beck und andere(20).]
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Die Lok Typ T3, Achsfolge C, war die Standardlokomotive für die Lenninger Talbahn. Mit 300 PS war sie nicht stärker als ihre kleine Schwester TECK, aber durch die drei gekuppelten Räder brachte sie ein größeres Adhäsionsgewicht auf die Schiene und war damit leistungsfähiger.
[Bildentnahmen: Mühl-Seidel wie Anm. 6, Bild Nr. 58 und technische Zeichnung Nr. 30]
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Anmerkungen
Wesentliche und wichtige, die Basis für diesen Beitrag bildende Informationen wurden von Dirk Übbing, Owen, aus seinem reichhaltigen Fundus mit Bildern, Büchern, Manuskripten und Quellenangaben beigesteuert. Ohne seine Hilfe und Unterstützung hätte dieser Beitrag nicht geschrieben werden können.
 (1)Werner Frasch, Kirchheim unter Teck, Aus Geschichte und Gegenwart einer Stadt und ihrer Bewohner. Verlag: Der Teckbote / 1985, S. 355.
 (2)Gesetz betreffend den Bau von Eisenbahnen vom 18. April 1843, Artikel 1 sowie Artikel 6-9 [Regierungs-Blatt für das Königreich Württemberg Nr. 19 vom 22. April 1843].
 (3)Hermann Lohr, Georg Thielmann: Lokomotiv-Archiv Württemberg, transpress, Berlin 1988. [Eisenbahn-Fahrzeug-Archiv, Lohr/Thielmann, Lokomotiven württembergischer Eisenbahnen]
 (4)Landtagsprotokolle: Sitzung vom 26.06.1851, 27. Sitzung, Kirchheim wird nicht erwähnt. Sitzungen vom 30. und 31.05.1853 (224. und 225. Sitzung), die Entscheidung fiel gegen Kirchheim. Der Abgeordnete Hirzel zitierte zudem aus dem Bericht der volkswirtschaftlichen Kommission: „Uebrigens ist Kirchheim das einzige Oberamt des obern Neckarthals, aus welchem keine Eingabe um Herstellung eine Neckarbahn eingelaufen ist.“ – Die Landtagsprotokolle sind online abrufbar bei der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.
 (5)Frasch (1985), S. 321.
 (6)Albert Mühl, Kurt Seidel, Die Württembergischen Staatseisenbahnen, Stuttgart 1980 S. 122. – Klasseneinteilung: A=Eilzugmaschinen (1B-Schnellzugmaschinen), B=schwere Personenzugmaschinen (1B-Neubau und -Umbau), C=nicht besetzt, D=leichte Personenzugmaschinen (2´B- und umgebaute 1B-Lokomotiven), E=leichte Güterzugmaschinen (2´B-Lokomotiven), F=schwere Güterzugmaschinen (C-Lokomotiven), F=Tendermaschinen. Die arabischen Ziffern stehen für nicht angetriebene Achsen, die Großbuchstaben stehen für gekuppelte Antriebsachsen; der Apostroph zeigt einen Drehschemel an. Bild Nr. 33 und techn. Zeichnung Nr. 6.
 (7)Mangelnde Rentabilität ist ein wiederkehrendes Argument, wenn es darum geht, den Bau einer Zweigeisenbahn auf Staatskosten abzulehnen. In der Sitzung des Landtags vom 18.06.1851 wurde ausdrücklich auf den agrarischen Charakter Württembergs hingewiesen, weshalb eine Eisenbahn völlig unnötig sei. Der Abgeordnete Hirzel merkt in der Sitzung vom 31.05.1853 dazu an: „Bei Obst und Most heißt es: Es wird nur auf der Kirchheimer Markung in sehr großer Quantität erzeigt. Nun ist jedermann bekannt, daß beinahe das ganhze Oberamtk Kirchheim ein Obstgarten ist.“
In einer der Sitzungen soll ein Abgeordneter auch gesagt haben: „Wegen einer Handvoll Kirschen bauen wir keine Zweigeisenbahn nach Kirchheim.“ Der Ausspruch kann nicht belegt werden.
 (8)Landtagsprotokolle: Sitzung vom 23.09.1861, 174. Sitzung sowie Beilage 397 zum Protokoll 174 vom 23.09.1861.
 (9)Vgl. dazu das Gesetz vom 18. April 1843, das in Artikel 8 und 9 eine mögliche Übernahme schon nach 25 Jahren vorsah. – Die Daten zum finanziellen Erfolg wurden dem Manuskript „Die Nebenbahn Wendlingen – Kirchheim(Teck) – Oberlenningen und Kirchheim(Teck) – Weilheim(Teck)“, erstellt von Dirk Übbing, entnommen.
 (10)100 Jahre Scheufelen in Oberlenningen. 1855 – 1955, S. 78 sowie S. 196: „Am 28. September wird in Anwesenheit des Königs Wilhelm II. von Württemberg die Bahnlinie Kirchheim – Oberlenningen, die sogenannte ‚Scheufelen-Bahn‘, eingeweiht.“ – Für viele im Tal, vor allem für die Arbeiter, die täglich in die Fabrik nach Oberlenningen pendelten, war die neue Eisenbahn ganz selbstverständlich die „Scheufelen-Bahn“.
 (11)In den Zeitungsberichten zum Ereignis wird angedeutet, dass der König das Fest vorzeitig verlassen habe, nicht erwähnt wird, ob der Hofzug des Königs noch einmal in Kirchheim anhielt; die vielen anderen Gäste, die sich anschließend noch im Wirtshaus Post in Kirchheim versammelten, müssen demnach mit dem Extrazug des Ministerpräsidenten Mittnafcht zurückgefahren sein.
 (12)Zu den Lok-Klassen siehe Anm. 6. Auf die Klasse T3 wird weiter unten eingegangen. – Die Steigung für die Lenninger Talbahn wird im Verwaltungsbericht von 1899 ansteigen mit 1:60, 1:65 und 1:80 angegeben. Die größte Steigung der Strecke findet sich auf der Teilstrecke zwischen Unterlenningen – Oberlenningen mit 1:50 (entspricht: 20 ‰). Verwaltungsbericht der Königlich Württembergischen Verkehrsanstalten für das Etatsjahr 1908. Herausgegeben von dem Königlichen Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstatlten. Stuttgart 1899, S. 34.
 (13)100 Jahre Scheufelen S. 79.
 (14)100 Jahre Scheufelen S. 79.
Teckbote vom 31. Oktober 1970, S. 43.
 (15)vgl. Anm. 10.
 (16)Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 14/67 vom 28.06.2006, Große Anfrage der Fraktion FDP/DVP und Antwort der Landesregierung.
 (17)Freie Enzyklopädie Wikipedia, Anmerkungen 9, 10, 19, 20, 21. Vgl. Bahnstrecke Wendlingen( Neckar)-Oberlenningen.
 (18)Verwaltungsbericht der Königlich Württembergischen Verkehrsanstalten für das Etatjahr 1908. Herausgegeben von dem Königlichen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Verkehrsabteilung. Stuttgart 1909, S. 19: Bei der Beschreibung des Abzweigs der Nebenbahn Kirchheim u. Teck – Weilheim a.d. Teck an der Station Kirchheim Vorstadt wird die Strecke nach Oberlenningen in einem Wort als „Lenningertalbahn“ genannt.
 (19)Mit der Übernahme der KE 1899 bestand die Möglichkeit, dass bei der KWStE zwei Lokomotiven gleichen Namens in der Buchhaltung aufeinandertrafen und obwohl physisch unterscheidbar (Achsfolge 2`B versus Achsfolge C) buchhalterisch nicht zu unterscheiden waren. Deshalb wurden die C-Loks in ROTH und ACH umbenannt. Hinweis von Dirk Übbing.
 (20)Schwäbische Eisenbahn. Bilder von der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn. Text von Bernd Beck. Tübingen 1989, S. 33. Mühl-Seidel, wie Anm. 6, technische Zeichnung Nr. 55, Bild Nr. 77.