Stadtführung 2022

Die Untere Brücke ist erreicht, Hans-Peter Hils weist auf den Widmungsstein mit dem Baudatum 1818 hin, Holger Macho steht mitten in der Lauter, aber wem gilt sein amüsierter Blick?.

Ganz oben und ganz unten – Unter den ältesten Brücken von Owen
– Eine Stadtführung der besonderen Art am 9. Oktober 2022 –

Die Brücken und Stege über die Lauter wurden im Lauf ihrer Geschichte immer wieder durch Sturzfluten zerstört, wurden aber auch immer mit erheblichem Aufwand wieder aufgebaut. Auch die Brücken über den Stadtgraben stürzten immer wieder ein wie z.B. die Brücke am Oberen Tor, die am 13. Mai 1674 nach einem Starkregen „zum halben theil“ einstürzte. Die Führung am Sonntag, den 9. Oktober, versprach nicht nur einen Gang durch die Lauter von der Kirchbruck bis zur Unteren Brücke, sondern auch Wissenswertes zum Schicksal insbesondere der Kirchbruck.

„Die Lauter meint es heute gut mit uns“, sagte Hans-Peter Hils zur Begrüßung und mit einem anerkennenden Blick auf die Gummistiefel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und fügte noch hinzu: „Das war in den vergangenen Jahrhunderten nicht immer so und Leidtragende waren immer die Brücken und Stege über die Lauter. Sie wurden nämlich in regelmäßigen Abständen ratzebutz weggerissen.“

Er stellte sich mit wenigen Worten persönlich und auch den zweiten Organisator der Führung, den Schatzmeister des Förderkreises, Holger Macho, vor, dann ging es los mit einer Fülle historischer Daten:

Der erste Nachweis einer Brücke aus Stein stammt von 1588   In diesem Jahr kam auf Einladung der Stadt der Maurer Traub von Nürtingen samt Schwiegersohn, um für den Bau einer gewölbten Steinbrücke bei der Kirche einen „Kostenüberschlag“ abzugeben. Wie es scheint, sollte eine Holzbrücke ersetzt werden, für die bereits 1577 eine Reparaturrechnung verzeichnet ist. Verhandelt wurde im Säubad bei einem Morgenessen, wie die Kastenrechnung vermerkt. Man wurde sich nach einigem Hin und Her, einigen Umtrünken und weiteren Morgenessen, der Traktierung des Nürtinger Stadtschreibers mit einem Abendessen und dem Erhalt eines Darlehens von 100 Gulden von Nürtigen einig und der Maurer Traub baute mit einer starken Truppe aus Schwiegersohn, Gesellen und Helfern die Brücke in nur 12 Tagen. Auch das ist in der Kastenrechnung verzeichnet.

Vor dem Einstieg in die Lauter gab es einen ausführlichen Überblick über 500 Jahre Geschichte und Geschicke der Lauterbrücken, insbesondere der Kirchbruck, die immer wieder durch Sturzfluten zerstört und wieder aufgebaut wurde.

Das allseitige Staunen kommentierte Hans-Peter Hils nüchtern mit „Das nennt man professionelles Projektmangement. Denn bevor der Meister mit seiner Truppe zur Grundsteinlegung und Arbeitsaufnahme erschien, wurde die Baustelle von ortsansässigen Handwerkern und Hilfskräften vorbereitet und das benötigte Material bereitgestellt. Wenn dann noch der Schwiegersohn und ein Trupp von Gesellen, Gehilfen und Handlangern mitschafft, ist das schon vorstellbar. Aber schon nach nicht einmal hundert Jahren war´s mit dieser Brücke schon wieder vorbei.“

„Am 31. Juli 1687 wurde die Kirchbruck durch eine fürchterliche Sturzflut weggerissen.“   Und nach einer Kunstpause mit gespieltem Erstaunen: „Ja welche Brücke denn eigentlich?“ Die weggerissene Brücke sei nicht die des Maurers Traub gewesen, erklärte er, die hätte die Lauter schon früher weggerissen. In den Kastenrechnungen von 1688 zum Wiederaufbau der Brücke sei nämlich vermerkt, dass eine vor 25 Jahren erbaute hölzerne Brücke weggerissen wurde. Dann könne das professionelle Projektmanagement doch nicht so professionell gewesen sein, so der trockene Kommentar eines Teilnehmers.

Es sei eine gewisse Regelmäßigkeit festzustellen, meinte Herr Hils, ungefähr alle einhundert Jahre ein Jahrhunderthochwasser. Denn schon 1789 sei auch die 1688 erbaute Steinbrücke zusammen mit allen Stegen und der Unteren Brücke durch eine gewaltige Sturzflut weggerissen worden. Den Steg beim Adler habe man als befahrbare Brücke aus Eichenholz wieder aufgebaut und die sei erst 1904 durch eine Betonbrücke ersetzt worden. Für die Untere Brücke, die aus Stein gewesen sei, habe man vorläufig angeschwemmtes Holz recycelt und dann 1818 aus Stein wieder aufgebaut.

Kirchbruck und Französische Revolution   Und dann fragte er, was denn die Kirchbruck mit der Französischen Revolution zu tun habe. Die Antwort sei eigentlich ganz einfach, meinte er nach einer Weile des allseitigen Rätselns. „1789 gab es in Europa einen extrem heißen und trockenen Sommer. Die schwimmenden Mühlen in Paris konnten das Getreide, das durchaus vorhanden war, wegen des Tiefstandes der Seine nicht mahlen. Kein Mehl, kein Brot, und wenn kein Brot, dann geht das Volk auf die Barrikaden. So gesehen wäre also ein singuläres Wetterereignis der Auslöser der Französischen Revolution.“

„Aber was hat die Französische Revolution mit der weggerissenen Kirchbruck in Owen zu tun?“, wiederholte er seine Frage. Weil beides im Jahr 1789 passiert sei, vermutete ein Teilnehmer. Bei großer Hitze bildeten sich eben auch Gewitter, und wenn sich ein solches im Tal festsetze und in kurzer Zeit ein Starkregen viel Wasser auf engem Raum bringe, dann käme es eben zu einer Sturzflut, und die könne auch eine Brücke aus Stein einreißen.

„Entscheidend ist“, führte Hans-Peter Hils die Überlegung weiter, „dass die Engstelle bei der Kirchbruck wie eine Düse wirkt. Der zur Kirche gelegene Prallhang muss die Sturzflut aushalten.“ – „Das Wasser fließt schneller, es gibt einen Sog(1), der ein steinernes Gewölbefundament unterspülen kann“, sagte ein Teilnehmer. „Die Brücke stürzt also ein, wenn das Wasser nicht durch eine Streichwand abgeleitet wird“, ergänzte Herr Hils. „Insofern sind die Ereignisse in Frankreich und der Einsturz der Kirchbruck in der Zusammenschau ein mahnendes Exempel für die heutige Zeit, das durch die Ereignisse im Ahrtal 2021 auf schreckliche Weise verdeutlicht wird.“

Streichwand, Strebmauer und Quadratruten   Die Notwendigkeit einer Streichwand habe man 1789 beim Bau der Kirchbruck beherzigt und eine solche, Strebmauer genannt, 57 Schuh lang massiv aus Stein aufgemauert. Das seien ca. 16 Meter. Die Höhe sei in der Rechnung nicht angegeben und daran werde auch die Schwierigkeit deutlich, solche Angaben richtig zu verstehen. Denn abgerechnet wurde offensichtlich nach der Fläche der Mauer und die werde in Quadratruten(2) angegeben. Er habe die Rechenmechanik mit diesem alten Maß noch nicht richtig verstanden, er sei da noch ratlos, werde sich aber um die Lösung kümmern.

Diese Strebmauer sei in neuerer Zeit durch eine Betonwand und Wellenbrecher in der Lauter ersetzt worden. Die Kirchbruck sei nun 232 Jahre alt, die Brüstungen neu aufgemauert und sie halte auch heute noch dem Fahrzeugverkehr stand. „Sie ist aber für LKWs gesperrt. Und nach so viel Geschichte ist es jetzt an der Zeit, für unseren Spaziergang durch die Lauter“, beendete Hans-Peter Hils seinen Vortrag.


Die Gruppe stieg etwas oberhalb der Kirchbruck, wo eine bereitgestellte Leiter die Passage entschärfte, in die Lauter hinab. Nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mit Gummistiefeln ausgerüstet. Sie wollten trockenen Fußes bis zur Unteren Brücke vorausgehen. Nach Hinweisen auf Gumpen, in denen die Lauter auch überknietief sein könne, startete die Gruppe flussabwärts zur Unteren Brücke.
Nach Möglichkeit wurde auf den flachen Uferstreifen gewatet. Hinter der Kirchbruck galt es, das westseitige Ufer der Lauter zu erreichen, was auch problemlos gelang. Ein Blick zurück zeigte die kleine Gruppe der Zurückgebliebenen auf der Kirchbruck. Dann ging es hinter einem dichten Rankenvorhang weiter flussabwärts.
Danach wurde die Lauter noch einmal überquert. Die Streichwand, die die Kirchheimer Straße gegen eine heranrollende Lauterflut sichert, hat einen starken Sockel, auf dem trockenen Fußes bis zur Unteren Brücke gegangen wurde.
Alle kamen wohlbehalten an der Ausstiegstelle an, es gab nur zwei vollgelaufene Stiefelpaare. Das eine war einfach etwas zu kurz selbst für die flachen Stellen in der Lauter, das andere gehörte Herrn Leuze, der, um noch ein Foto zu machen, einem Gumpen nicht widerstehen konnte und so zum Schluss doch noch nasse Füße bekam.

Nach einem kurzen Abstecher zur Grabenbrücke(3), die nur noch ein Damm ist und bei der der Zusammenhang zwischen einem 37 Tonnen schweren Sheman-Panzer und einem eigenartigen zweiten Pfeiler aus Spolien, wenn auch ohne abschließendes Ergebnis diskutiert wurde, endete die Führung beim ehemaligen Kühtor. Dieses heiße in den Bürgermeisterrechnungen auch das „Bissinger Tor“, weil hier ein Fuhrweg über das Hörnle nach Bissingen begann, der auch heute noch in Teilen vorhanden ist. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wagten den gesicherten Abstieg in die Tiefe. Holger Macho übernahm diesen Part und erklärte die Besonderheit dieses Brückengewölbes, das als älteste erhaltene Brücke(4) Owens gelten kann, auch wenn sie nur im Untergrund existiert.
Nachdem alle wieder an der Oberfläche zurückgekehrt waren, bedankten sich die beiden Oranisatoren, Holger Macho und Hans-Peter Hils, für das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser etwas anderen Stadtführung und die Bereitschaft, in Owen einmal „ganz oben“ und „ganz unten“ zu sein.

Herr Leuze machte nicht nur tolle Bilder vom Gang durch die Lauter, er dokumentierte auch seine nassen Füße auf lustige Weise. Die Grabenbrücke stürzte in den vergangen Jahrhunderten auch ohne Anlass immer wieder ein und musste „de novo“ neu aufgemauert werden. Gleiches gilt auch für die Kühtorbrücke. Es braucht also nicht immer eine Sturzflut, Wasser ist ein geduldiger Baumeister, allerdings mit zerstörerischem Effekt.

Die Fotos wurden von Herrn Christof Leuze gemacht und zur Verfügung gestellt, wofür wir ein herzliches Dankschön sagen.
Holger Macho und Hans-Peter Hils


Anmerkungen/Ergänzungen
(1)Der Bernoulli- und Venturi-Effekt steht im Widerspruch zur Vorstellung, der Prallhang müsse einem Druck standhalten. Danach verhält sich die Fließgeschwindigkeit einer Flüssigkeit, die durch ein Rohr strömt, umgekehrt proportional zu einem sich verändernden Rohrquerschnitt. Das Rohr kann hier mit dem Flussbett der Lauter verglichen werden.
(2)Die Quadratrute ist ein altes Flächenmaß, welches im Herzogtum Wirtemberg bis 1806 von den Feldmessern verwendet wurde. Rechnet man die Angaben in der Bürgermeisterrechnung von 1790 entsprechend um, kommt man auf eine Höhe von 9,33 m, was nicht plausibel ist. Mit der Festlegung der Quadratrute auf 100 Quadratfuß nach der Maßordnung von 1806 im Königreich Württemberg, die bis 1871 galt, kommt man auf eine plausible Höhe von 3,64 m (Gewölbehöhe der Kirchbruck: 3,95 m). Wie diese widersprüchlichen Ergebnisse zu werten sind, muss offen bleiben.
(3)Ein Einsturz der Grabenbrücke ist in den Bürgermeisterrechnungen erstmals 1590 dokumentiert. Der Aufbau eines „bockchstell“ (= Gewölbelehre) ist ein Hinweis, dass die Grabenbrücke wohl schon zu dieser Zeit aus Stein bestand.
(4)Erstmals sicher belegt ist eine Reparatur an der Kühtorbrücke in der Bürgermeisterrechnung von 1668/69.