Die Suche beginnt mit der Frage: Wie kam es überhaupt dazu, dass das Geschichtshaus zur Beginenklause wurde? Allein dadurch, dass das Geschichtshaus nur „so genannt“ wird, ist gesagt, dass das Geschichtshaus keine Beginenklause war. Es lohnt sich jedoch, tiefer in die Geschichte einzutauchen. In Annalen und Urkunden, zusammengestellt auf Seite 2, ist bezeugt, dass es in Owen eine Beginenklause gab – und wo sie sich befand.
Die Überlieferung, wonach schon im 12. Jahrhundert in der Owener Vorstadt ein Frauenkloster neben der nahe gelegenen Beginenklause bestanden habe, ist wenig glaubhaft. Ebenso wenig gesichert ist, dass ➤ Herzog Ludwig I. von Teck (1249/†1283) der Stifter des Klosters war und dass die Beginenklause auf ihn zurückgeführt werden kann. Urkundlich belegt ist dagegen, dass Herzog Ludwig 1249 das vor den Toren der Stadt Kirchheim gelegene Dominikanerinnenkloster „privilegierte“.(1) Ist hier der Ursprung der Legenden um eine Beginenklause in Owen zu suchen?
Vorweg eine Begriffsklärung: ➤ Beginen waren Frauen, die ohne feste Klosterregel aus freien Stücken in einem geistlichen Konvent, einer Klause, ein asketisches und andächtiges Leben, meist nach der Drittordens-Konstitution der Franziskanerinnen oder Augustinerinnen, führten. Ihre seelsorgerische Betreuung wurde durch einen Leutpriester oder einen eigens der Klause zugeordneten Kaplan gewährleistet.
Der Ursprung der Legende von der sogenannten Beginenklause
Im Jahr 1936 erwarb der Kaufmann Anton Priban zusammen mit seiner Ehefrau Lore ein Haus unmittelbar an der über die Lauter führenden Kirchbruck. Er modernisierte das darin befindliche Ladengeschäft des vorigen Besitzers und ließ das schöne Fachwerk fachmännisch freilegen. Unter dem Fenster des nordöstlichen Anbaus und auch auf der zur Lauter hin gelegenen Gebäudeseite ließ er folgende Inschrift anbringen: Beginenklause gegr. 1282 // von Herzog Ludwig von Teck // urkundlich erwähnt 1430 // wiederhergestellt 1465. So konnte bei jeder Überquerung der Lauterbrücke die Inschrift zweimal gelesen werden. Der Glaubwürdigkeit tat es keinen Abbruch, dass es zwischen der angeblichen Gründung im Jahr 1282 und der urkundlichen Erwähnung 1430 eine Lücke von beinahe 150 Jahren gab. Als Quelle diente Priban wohl die 1884 erschienene Ortsgeschichte von Owen des Pfarrers Paul Rooschüz, der über die Beginenklause in Owen schreibt: Früher befand sich hier eine Beguinenklause, getrennt vom Kloster, aber ohne Zweifel in der Nähe desselben gelegen. Nach einer ziemlich sichern Überlieferung war dieselbe nämlich in dem Hause, das jetzt der Kaufmann Bepler inne hat. Hier sollen sogar noch vor nicht langer Zeit Zimmereinrichtungen, die von jenen früheren Bewohnerinnen des Hauses herrührten, zu sehen gewesen sein.(2) Von der urkundlichen Erwähnung 1430 und dem desolaten Zustand des Gebäudes 1465 weiß Rooschüz nichts. Und woher oder von wem Priban diese Informationen hatte ist ebenfalls ein Geheimnis. Die Beginenklause stand nicht an der Kirchbruck
Das Kloster, das Rooschüz erwähnt, und in dessen Nähe sich die Beginenklause befunden haben soll, befand sich da, wo heute der Friedhof ist. Alleiniges Überbleibsel davon ist das „Schlösslespfarrhaus“, die aus der St. Peterskapelle hervorgegangene Klosterkirche. Drei Jahre zuvor waren die Beginen in das neu erbaute Augustinerinnenkloster inkorporiert worden und hatten als selbstständige Schwesterngemeinschaft aufgehört zu bestehen. Die Klostergebäude sind längst verschwunden und mit ihnen auch die Beginenklause. Beim Blick auf den Stadtplan (Abb. rechts) zeigt sich auch, dass bei der Distanz zwischen dem Haus an der Kirchbruck (roter Punkt) und dem „Schlösslespfarrhaus“ (blauer Punkt) eher von Ferne als von Nähe gesprochen werden muss. Es bildet zusammen mit der am Kriegsende zerstörten „Wirtschaft & Metzgerei zur Traube“ (# 48) ein Dreieck, auf der anderen Seite steht der 1995 abgebrochene „Gasthof zur Post“. Sowohl der Plan wie auch das darüberliegende Bild zeigen, dass hier auch kein Platz für ein Kloster gewesen sein kann. Das Ensemble der drei Häuser weist vielmehr darauf hin, dass es sich bei dem Haus an der Lauter um ein ehemaliges Gasthaus handelt, das in seiner wechselvollen Geschichte zum Kaufladen und schließlich zur „sogenannten Beginenklause“ wurde. |
Das Haus an der Kirchbruck um 1936, Fassade nach Westen. Die Inschrift befindet sich unter dem Fenster an der Ecke.
Die Nordseite des Hauses. Die Inschrift befindet sich unter dem Fenster im Anbau.
Stadtplan von 1920, Ausschnitt.
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Das Haus an der Kirchbruck, die auch Mitterbruck heißt oder nach dem Kaufmann, der die Legende der Beginenklause an die Fassade des Hauses malte, Pribansbruck, ist heute das ➤ Geschichtshaus von Owen und beherbergt eine Dauerausstellung zur Owener Geschichte, das Stadtarchiv und die Stadtinfo. Mit seinem Bau wurde – und das ist ➤ dendrochonologisch gesichert – nicht vor 1498 begonnen. Auch deshalb war es nie eine Beginenklause.
Es bleibt die Frage, wie die beiden Jahrzehnte früher liegenden historischen Daten – urkundlich erwähnt 1430 und wiederhergestellt 1465 ins Bild passen. Für das Jahr 1430 findet sich die Antwort in einer Urkunde beim Hauptstaatsarchiv in Stuttgart:(3) Die Urkunde öffnet eine neue Schicht in der Spurensuche. Auf Seite 2 sind alle bekannten historischen Nachweise zur „wahren“ Beginenklause zusammengestellt.
↑ (2)Paul Rooschüz, Owen. Seine Geschichte und seine Denkwürdigkeiten, Stuttgart 1884, S. 142. – Der Kaufmann Friedrich Bepler hatte das Haus vom Kaufmann Wilhelm Gustav August Bender erworben und verkaufte es 1905 an den Kaufmann Karl Richter, von dem es wiederum 1936 der Kaufmann Priban erwarb.
↑ (3)Landesarchiv/Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Urkunde A 602 Nr 9861 = WR 9861. Die Urkunde kann als Digitalisat eingesehen werden.