Das Baden war im ganzen Mittelalter allgemein beliebt. Nicht nur in den Städten und Dörfern, auf Burgen wie in den Klöstern gab es Badstuben, denn das Badewesen gehörte zu den tragenden medizinischen Versorgungssystem des Mittelalters und das gemeinsame Baden wurde allgemein als ein „öffentliches Vergnügen“ angesehen.
Owen hatte nicht nur das Säubad mit seinem spezifischen Mineralwasser, es gab damals auch zwei Badstuben. Sie befanden sich in der Vorstadt in der heute noch so heißenden Badstraße. Im Städtlenbuch heißt es für das Jahr 1465, etwa zeitgleich zu den Einträgen für das Säubad, dass jedes Jahr auf Martini aus jeder Badstube von den jeweiligen Inhabern 8 Schilling, 17 Kreuzer und 2 Heller zu zahlen seien. Mit einem Click auf den Link oder die Städtlenbuch-Abbildung öffnen sich die Seiten mit einer Transkription.
So beginnt der Abschnitt zum Baden in den 1533 in Straßburg gedruckten „Schachtafelen der Gesuntheyt“(1). Und umschreibt damit präzise, was das Baden ausmacht: Es braucht heißes und kaltes Wasser und eine Infrastruktur, mit der beides jederzeit bereitgehalten werden kann. Für die Owener Badstuben war die natürliche Wasserquelle die nahe Lauter, aus welcher der Bader selbst oder seine Knechte das Wasser schöpften. An festgesetzten Wochentagen sorgte er für gute Einheizung und die Bereitung von Schwitz- und Wannenbad, das Haaarewaschen und Scheren von Kopf- und Barthaar, bereitete kleine Eingriffe wie das Schröpfen und Aderlassen vor, meist in Verbindung mit einem Fußbad, da dies das Blut dünn machte, und sorgte auch sonst für das Wohl seiner Badegäste. War alles bereit, machte er das durch das Aushängen eines Heubüschels an der Eingangstür bekannt, mit dem man sich während des Badens kühlende Luft zufächelte.
Obwohl sich die Bader als Vertreter eines wachsenden Gewerbes bald in Bruderschaften und Zünften zusammenschlossen, gehörten sie mancherorts immer noch zu den „unehrlichen Berufen“, weil sie als „Ärzte der kleinen Leute“ Kranke, Verwundete und Pflegebedürftige berührten. Denn zu ihren Aufgaben gehörte, schlicht gesprochen, nicht nur die Bereitung von heißem Wasser für das Bad; zum Spektrum ihres Tätigkeitsbereichs gehörten auch das Schröpfen und Aderlassen, die wundärztliche Versorgung von Verletzungen und chirurgische Eingriffe, das Scheren, Kämmen, Entlausen und die Befreiung von Flöhen und nicht zuletzt auch die Verabreichung von Purgiermitteln. Bei allen diesen Tätigkeiten wurde er von seinen Badeknechten unterstützt.
Eine erwachsene Mannsperson zahlte im frühen 16. Jahrhundert in Stuttgart für einen Besuch zwei Pfennige, also einen Heller, eine Frau einen Pfennig, ein Kind über zehn Jahren einen Heller, Kinder unter diesem Alter waren kostenfrei. Mit diesen Preisen sollte auch weniger begüterten Leuten die Annehmlichkeit eines Badehausbesuches ermöglicht werden. Durchaus üblich war es auch, dass Stadtbedienstete oder Handwerksgesellen neben ihrem Lohn auch „Badegeld“ bekamen. Dienstleistungen wie Schröpfen, Aderlassen, Kopfwäsche und Scheren mussten allerdings extra bezahlt werden.(2)
Die Badegäste konnten sich ihrer Kleider in einer „Abziehkammer“ entledigen, in der ein eigens eingestellter „Badhieter“ darauf zu achten hatte, dass nichts gestohlen wurde, oder die Gäste kamen gleich leicht bekleidet zum Badhaus. In der Badstube selbst trugen die Badegäste entweder einen Lendenschutz oder waren nackt, trugen aber einen Badehut. Zuerst wurden die Badegäste mit wohlriechender Seife gewaschen, danach waren ein Dampf- oder Schwitzbad an der Reihe gefolgt von einer neuerlichen Waschung und Abreibung, dem „Krauen“, d.h. dem Kratzen mit den Fingernägeln. War der Badegast solcherart vorbereitet, war die nächste Station die „laßpank“, wo Schröpfköpfe gesetzt wurden oder auch zur Ader gelassen wurde. Das Schröpfen und der Aderlass dienten im Sinne der aus der Antike übernommenen Vier-Säfte-Lehre der inneren Harmonie und dem Wohlbefinden. Zum Abschluss ging es ins „schereck“ zum „Zwagen“, d.h. zur Kopfwäsche und dem Haar- und Bartschnitt.
Viele Abbildungen zeigen, dass Männer und Frauen gemeinsam badeten, denn das gemeinsame Baden war nicht nur ein „öffentliches Vergnügen“, es diente auch der Kommunikation – will heißen dem Klatsch und Tratsch – und noch manch anderer „Lustbarkeit“. Wie man sich aber im Bad zu verhalten habe, lässt sich der Bader Ordnung des Hieronymus Bock entnehmen. Man solle sich vor dem Bad entleeren, dicke Menschen sollten nüchtern, dünne innerhalb von drei Stunden nach dem Essen ins Bad gehen. Bei heißem Wetter empfiehlt sich der Gang ins Bad frühmorgens oder am Abend. Während des Badens soll weder gegessen noch getrunken werden und ganz wichtig: So lang man im bad ligt / soll fraw Venus vrlaub haben / vnd ihren dantz mit andern leuthen anfahen.(3) Männer sollen daher die „Bruche“ tragen (Abb. Jost Amman) und Frauen die „Badehre“, ein langes Leinwandhemd, das von der Brust bis zu den Knien reicht und manchmal hinten auch offen sein konnte (Abb. Anonymer Holzschnitt). Fehlten „Bruche“ oder die „Badehre“, so wurde immerhin ein Badehut getragen, kunstvoll aus Stroh geflochten und oft auch mit allerlei Flitter verziert. Mit dem Badehut war der sittlichen Ordnung genüge getan, darum hieß er ebenfalls „Badehre“. Bei Zuwiderhandlungen wurden Geldstrafen fällig.
Damit es den männlichen und weiblichen Badegästen an nichts fehlte, sorgte eine Bademagd nicht nur für den Nachschub an heißem oder kaltem Wasser, sondern auch für Speis und Trank und war nicht selten auch zu anderen „Dienstleistungen“ vor allem am männlichen Gast zu haben. Dabei wurde oft die Grenze zur Prostitution überschritten; so steht es bereits seit dem 14. Jahrhundert in Verordnungen, die gegen die mancherorts um sich greifende Unsittlichkeit in den Badehäusern vorgehen und z.B. festlegen, dass nur Eheleute gemeinsam baden dürfen oder nach Geschlechtern getrennte Badabteilungen einzurichten sind.
Es war aber nicht allein die die viel beschriene Sittenlosigkeit und die Reaktion der Obrigkeit darauf, auch nicht die Angst vor der Ansteckung mit der „französischen Krankheit“, wie die Syphilis genannt wurde, oder geänderte moralische Vorstellungen, die schon im 16. Jahrhundert zum Niedergang der Badstuben führte. Seit dem Spätmittelalter kam es zu einere allgemeinen Holzverknappung durch Raubbau in den Wäldern und in der Folge zu steigenden Holzpreisen, die den Betrieb einer Badstube unwirtschaftlich machten.
Dieser Eintrag im „Städtlenbuch“ ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Er bezieht sich auf das Jahr 1465(4), das Städtlenbuch wurde aber erst um 1730 angelegt. So wird auch folgerichtig festgestellt, dass sich das „vorige Lägerbuch“ – der Vorläufer des „Städtlenbuchs“ – auf einen „Pergementenen Brieff“ beruft, der aber „nimmer vorhanden, sondern Vermuthlich in denen Kriegszeiten verlohren gegangen“ ist. Der Eintrag wird also gemacht, weil er eben ein ewiger, nicht ablösbarer Zins ist; die ursprüngliche Urkunde kann aber nicht als Beleg „einverleibet“, d.h. dem „Städtlenbuch“ beigebunden werden.
Der eingeforderte Zins ist eine Abgabe, in etwa vergleichbar mit der heutigen Gewerbe- oder Umsatzsteuer. In Summa // Per se sind es acht Schilling, also 24 Kreuzer und noch einmal 17 Kreuzer und 2 Heller, alles in allem also 41 Kreuzer und 2 Heller oder 13 Schilling, 2 Kreuzer und 2 Heller. Der Heimatforscher Rudolf Locher merkt dazu in seinem Buch „Das alte Owen“ an, dass „das damals der Wert von 266 Eier oder 150 Liter Dinkel war.“(5) Es ist generell schwierig, wenn nicht unmöglich, alte Währungen in neue umzurechnen. Eine Annäherung ist möglich, wenn die Kaufkraft zu einem definierten historischen Zeitpunkt und der Geltungsraum bekannt sind, d.h. wenn man in etwa weiß, was und wieviel man für einen Schilling oder einen Kreuzer in einem bestimmten Jahr oder Jahrzehnt an einem bestimmten Ort bekommt. In der Angabe Lochers ist sowohl der historische Zeitpunkt – 1465 oder 1730 – wie auch die „Summa / Per se“ – 17 Kreuzer und 2 Heller oder 8 Schilling und 17 Kreuzer und 2 Heller – unklar.
Die entscheidende Frage ist daher: Wie groß war die Abgabenlast und steht sie in einer Relation zu den verlangten Badepreisen? Rechnet man 20 Schilling auf einen Gulden und bedenkt, dass ein Tagelöhner um 1750 bei Vollbeschäftigung über das Jahr wenig mehr als 50 Gulden verdiente (6), berücksichtigt man ferner die starke Geldentwertung in den zurückliegenden 300 Jahren, dann waren um 1730 weder die 8 Schilling noch die 17 Kreuzer 2 Heller viel Geld. Zum Vergleich: Heutigentags kosten 266 Eier bei uns in Owen zwischen 55,86 Euro und 63,84 Euro. Anders sieht es aus für 150 Liter Dinkel. Diese Menge entspricht für Dinkel im Spelz in etwa 60 kg und hat einen Erzeugerpreis von ca. 40 Euro. Im Internethandel wird der Urdinkel ohne Spelz mit weniger als drei Euro pro Kilogramm angeboten, das entspräche einem Kaufpreis zwischen 120 und 160 Euro für 60 kg Dinkel je nach Packgröße. Und ebenfalls im Internet findet sich unter dem Stichwort „Preise im Mittelalter“(7) die Grundlage für folgende Daten: Um 1460 konnte man für rund gerechnet 13 Schilling 46 kg Rindfleisch kaufen und um 1750 waren es nur noch 9 kg. In der Gegenwart kostet Rindfleisch z.B. für die Schulter rund 15 Euro und für die Keule oder Nuss rund 16 Euro. Rechnete man der Einfachheit halber mit dem ersten Wert weiter, würden die 46 kg Rindfleisch heute 690 Euro kosten.
Um 1730, als das „Städtlenbuch“ angelegt wurde, war die mittelalterliche Badekultur längst in einem rasenden Niedergang begriffen. So dürften die Schreiber des „Städtlenbuches“ vielleicht keine Vorstellung davon gehabt haben, welchen Wert die von ihnen verzeichneten „Öwige ohnablößige Hellerzins“ eigentlich hatten und was dafür zu haben war. Die Badstuben waren aber sicher schon geschlossen und die Badegäste gingen vielleicht lieber nach Bad Boll oder Bad Überkingen um zu baden.
↑ (1)Hans Weiditz: Weiditz, Hans (Ill.) / Herr, Michael (Übers.) / Ibn-Butlan (Verf.), Schachtefelen der Gesuntheyt, Straßburg 1533. Digitalisate der Bayerischen Staatsbibliothek
↑ (2)Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen, Jena 1906.
↑ (3)Hieronymus Bock: Bader Ordnung. Straßburg 1550. Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin. – Abb. Jost Amman: Sachs, Hans / Amman, Jost: Eygentliche Beschreybung Aller Stände auff Erden, Franckfurt, 1568. Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek. – Anonymer Holzschnitt, 16. Jahrhundert: Archiv des Medizinhistorischen Institut Universität Zürich.
↑ (4)„Geben in dem Vierhundert sechzig und fünfften Jahr, auff Matthiae Apostoli“ – Datierung: 24. Februar 1465. Der Kirchentag des Apostels Matthias fällt jedes Jahr fix auf den 24. Februar. Der neue römische Kalender hat das Fest auf den 14. Mai verlegt.
↑ (5)Rudolf Locher: Das alte Owen, hg. vom Bürgermeisteramt Owen, Stuttgart 1977, S. 79.
↑ (6)Petra Schad: Buchbesitz im Herzogtum Württemberg im 18. Jahrhundert am Beispiel der Amtsstadt Wildberg und des Dorfes Bissingen/Enz. Stuttgart 2002 (Diss.), S. 55-56.
↑ (7)Link zum Stichwort Preise im Mittelalter.
Alle Abbildungen und Texte zum Städtlenbuch werden zur Verfügung gestellt vom Stadtarchiv Owen; Anfertigung der Digitalisate und Transkriptionen durch das Kreisarchiv Esslingen. Die Transkriptionen erfolgten gemäß den Grundsätzen für die Textbearbeitung im Fachbereich Historische Hilfswissenschaften – Stand 2009 – der Archivschule Marburg und wurden angefertigt von Kreisarchivoberinspektor Jochen Fuchs M.A. und Kreisarchivinspektorin z. A. Meike Zepf. Die Abbildungen der digitalisierten Texte des Stadtarchivs Owen sowie deren Transkription unterliegt dem urheberrechtlichen Schutz nach CC Creativ Commons.