Über Lichtstuben in Owen

Über Lichtstuben in Owen
Georg Scheu, weil Er die leedige
Pursche in seinem Nachtkarz ge=
duldet. 5. ß th[ut] 11 kr.
(Armenkastenrechnungen, Rechnungsjahr
1699-1700, StA Owen, OR 733, fol. 32v)

Paul Rooschüz vermerkt dazu in seiner Stadtgeschichte von Owen: „Daß Lichtkärze der Mädchen nicht von ledigen Burschen besucht werden, wird polizeilich überwacht. Als dies dennoch (1700) geschah, wurde der betreffende Hausvater um 11 kr. gestraft, obgleich die jungen Leute behaupteten, sie haben geistliche Lieder mit einander gesungen.“ (S. 60)


Das Wort Lichtkarz(1) meint das Gleiche wie der Begriff Spinnstube (auch Lichtstube, z´Liacht, zu Licht gehen, Lichtabend, Liot-Oobad, Rockenstube, Kunkelkammer oder Brechelstube): Er bezeichnet den ehemals weitverbreiteten Brauch, lange Winterabende gemeinsam vor allem mit geselligen Handarbeiten zu verbringen. Üblicherweise traf sich ein Mädchenjahrgang, um für seine Aussteuer zu spinnen und andere Handarbeiten zu verrichten. Die gemeinsame Arbeit diente nicht nur der Geselligkeit; auf diese Weise wurden die Kosten für Kienspäne, Kerzen oder Öllampen wie auch Heiz- und Feuerholz durch die gemeinschaftliche Nutzung gespart.

In diese romantisierende Sicht des Volksbrauchtums mischt sich jedoch ein kritischer Unterton: „Licht- oder Spinnstuben sind Orte einer sehr lebendigen dörflichen Kultur, die darauf abzielte, Arbeit und Leben miteinander zu versöhnen. Die Spinnstube wird abwechselnd auf dem einen oder anderen Hof abgehalten, die Frauen und Mädchen spinnen, die Burschen machen Musik, oder es werden Volkslieder gesungen, Hexen- und Gespenstergeschichten erzählt und allerlei Kurzweil dabei getrieben.

Die Spinnstuben dienten nämlich nicht nur dem Broterwerb, sondern waren Nachrichtenbörsen und kritisches Forum sowie Ort für jugendliche Sexualkultur und feuchtfröhliche Ausgelassenheit. Wegen der dabei vorkommenden Ausschreitungen in sittlicher Beziehung wurden Spinnstubenordnungen, d. h. polizeiliche Regelungen bezüglich der Zeit und Dauer des Beisammenseins, erlassen. (zit. nach Meyers Konversationslexikon von 1888-1890)

Zunehmendes Misstrauen der Obrigkeit gegenüber den Lichtkärzen

Im 17. und 18. Jahrhundert, ja sogar noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, schwoll die Flut der Einträge in den Owener Armenkastenrechnungen an. Gestraft und mit einer Geldbuße belegt wurde beinahe alles und jedes. Auffallend ist dabei die Registerüberschrift in ihrer allumfassenden Definition von „Strafbarkeit“ in der dritten Spalte.

Im Jahr 1595 verzeichnet die Armenkastenrechnung folgende
Einnahmen:

Vonn Caspar Ennsinger so an einem
sontag unnder der mittag predig
in seinem wingart umbganngen ge=
straff worden umb X ß

Martin Schuomacher, Conradt Schwab
unnd anndere deren junngen knecht
so uff sontag dem 22. [?] arpprilis
anno 1595 uff Teckh gedanntzet. Vonn
jeden auß bevelch herren ovbervogts zuo
Kürcheim 4 ß zuo straff empfangen. thut
III lb XII ß

Die annder 30 junnge gesellen haben
jeder seine 4 ß mit dem thurm abgebießt.
Deßgleichen so haben auch ermelt tags 20
junngen dechtern daselbsten gedanntzet.
Von jeder auff bevelch ermellts junnkhern
2 ß zuo straff empfanngen. thut II lb
(StA Owen, OR 646, fol. 13r, Armenkasten Rechnungsjahr 1595-1596)
Einnemmmen Gellt
Strafen
von Gotts-Lästerern und
anderen strafbahren Perßonen

Georg Scheu, weil Er die leedige
Pursche in seinem Nachtkarz ge=
duldet. 5. ß th[ut] 11 kr.
J. Michael Hörmann, wegen Gotts=
lästerlicher Flüch. 5. ß th[ut] 11 kr.
Georg Balthas[ar] Lang, deßwegen
5. ß th[ut] 11 kr.

(StA Owen, OR 733, fol. 32v, Armenkasten Rechnungsjahr 1699-1700)

Und im Rechnungsjahr 1701-1702 verzeichnet der Armenkasten, dass: Hanns Georg Schneidermeister[s] Magdt, weil sie nicht nur zum Tanz nach Beyren gegangen, sondern auch Schulden allda eingefordert umb: 15 kr. gestraft wurde. Es fällt auf, dass Frauen und Mädchen zu dieser Zeit mit 15 Kreuzern gestraft wurden, während Fluchen und Versäumnisse in der Aufsicht bei einer Spinnstube den Stubenherrn lediglich 11 Kreuzer kosteten.

Dass die geistliche und weltliche Obrigkeit Anlass zur Sorge hatte, zeigt schon Barthel Behams Holzschnitt von 1524, und so befand sie sich in den Wintermonaten in ständiger Alarmbereitschaft, weil „solche Lichtkertze von ledigen Mannßpersonen niemalen leer seyen.“ Der unkontrollierte Umgang der Geschlechter musste überwacht werden, „Dantzen, Spillen unzüchtige Reden schandbar Singen und Geschray“ und vor allem das „Zusammenschlupfen der jungen Bursch beiderley Geschlechts“ musste unter allen Umständen unterbunden werden. Deshalb wurden „Lichtkärtze“ unter die Aufsicht eines respektablen Lichtherrn und dessen Verantwortlichkeit gegenüber dem Kirchenkonvent gestellt.

Die nach Behams Holzschnitt gefertigte Radierung ist mit Buchstaben versehen und illustriert ein Flugblatt, in welchem mit deftigen Kommentaren die „schönen Possen des Bauernvolks in der Rockenstube“ kommentiert werden. So z.B. für den Buchstaben A Cunz Mucken bald darob die Bruch entfallen wär // die Hosen und der Latz, für B Clar Hupfaufs will den Rocke[n] auß der Hand // nit lassen und für D Claus greifft der schmucken Docken // deß Bauren Magd // geschwind an ihren hintern Schran[n]. Im Vorspruch wird das Leitthema angeschlagen: Was solten dann nit thun im Dorfe Knecht und Bauren // die ja so gern vielleicht sich reiben an die Mägd // wann sich der Liebespfeil bey ihnen auch erregt; im Hertzen // wolt ich sag’n.

Die Obrigkeit sorgt sich zunehmend um die öffentliche Moral

Die Überwachung der öffentlichen Moral oblag ab 1644 dem Kirchenkonvent – eine Institution, die als Sittengericht fungierte, die Schulen visitierte, in Kirche und Gottesdienst die Ordnung garantierte und die Aufsicht über die Armenpflege führte. Sie entwickelte sich schnell zu einer Art geheimer Sittenpolizei, die eigens dafür eingestellte Personen als Aufpasser hatte. Diese gingen herum und meldeten alle Verstöße vom Einschlafen während der Predigt bis hin zum Verkehr der Geschlechter miteinander, vom Wasserholen am Brunnen bis zum lärmenden Ehezwist und eben auch das sittliche Verhalten der Jugend beim Lichtkarz. Auskunft darüber geben die Kirchenkonventsprotokolle, so auch, dass z.B. junge Burschen, die sonnstags in einer Owener Wirtschaft beim Mühlespiel saßen, am 31. März 1775 wegen Sonntagsentheiligung eine Prügelstrafe mit einem „Weidenstumpen“ erhielten.

Dass diese Einmischung in alle Lebensbereiche, vor allem die beinahe obsessive Überwachung der Spinn- und Kunkelstuben, von Erfolg gekrönt war, vermelden die Kirchenkonventsprotokolle nicht, wohl aus gutem Grund. Denn den „Lichtkärzen“ war weder mit frommen Sprüchen noch mit harten Strafen beizukommen. So bleibt als Fazit die eher ernüchternde Erkenntnis, dass es hier vorrangig darum ging, das „Zusammenschlupfen der jungen Bursch beiderley Geschlechts“ zu verhindern, fanden sie doch womöglich hinter dem Rücken ihrer Eltern einen Ehepartner. Damit unterliefen sie die Heiratsordnung, die an Besitz und Vererbung gebunden war. Es darf getrost vermutet werden, dass es bei der Überwachung der Spinnstuben nicht vorrangig um sittliche Besserung, sondern vor Allem um Kontrolle der ungebärdigen Jugend ging.

Die Spinnstuben waren besser als ihr Ruf

Zur Ehrenrettung der Spinnstuben sei aber auch dieses vermerkt: Denen weibern und töchtern aber, da sie von spinnens wegen zusammengehen, solle solches unverwehret seyn, wann sie sich still und erbar verhalten. Denn sie haben „Stich“ bei der Anbahnung einer ehrbaren Hochzeit. Der Hintergrund: die Konkurrenz lediger Mädchen auf dem Heiratsmarkt spornte zum Fleiß bei der Fertigung der Aussteuer an. Und je reicher die Aussteuer, umso höher das Ansehen bei den anderen Mädchen in der Lichtstube – und bei heiratswilligen jungen Burschen. Denn die Lichstube war zugleich Nachrichtenbörse, Ort der Geselligkeit und eben auch der förmlichen Eheanbahnung, Teil der ländlichen Lebenswelt und darin fest verwurzelt. Damit entsprach sie genau den elementaren Bedürfnissen nach sinnvoller Freizeitgestaltung, zwischenmenschlichem Austauch und gemeinsamem Tun.

So darf in Erinnerung an Christian Daniel Schubart die Pflege der Spinnstuben in der heutigen Zeit als Folklore gewürdigt werden, „wo sichs beym Ofen gar herrlich reflektiren, betrachten, beherzigen, phantasiren und lügen“ lässt.


(1) Anmerkung zu „Lichtkarz“:
Das Wort „Lichtkarz“ wird meist in seiner weiblichen Form verwendet: also „die Lichtkarz“. Dagegen verzeichnet das Deutsche Wörterbuch von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB): karz, m. f. auch körz, lichtkarz, schwäb., spinnstube, also sowohl das männliche wie auch weibliche grammatische Geschlecht. Das Althochdeutsche Wörterbuch (AWB) verzeichnet karz st. m., chaerz, die lichtquelle Kerze, mit Verweis auf das DWB, also ein stark flektiertes Maskulinum.

Bildquellennachweise:
Bild 1: Otto von Reinsberg-Düringsfeld: Das festliche Jahr in Sitten, Gebräuchen und Festen der germanischen Völker. Mit gegen 130 in den Text gedruckten Illustrationen, vielen Tonbildern u. s. w., Spamer, Leipzig 1863. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Germ.g. 390 w, S. 355.
Bild 2: Lichtkarz in der Baar, in Deißlingen – Aquarell von Reinhold Braun um 1857, LMZ055023.
Bild 3: Betzinger Lichtkarz, Gemälde von Robert Heck (* Stuttgart 25.04.1831 † Stuttgart 11.11.1889), 1863, LMZ055077.
Bild 4: Barthel Beham, „Die Spinnstube“, Holzschnitt, um 1524, GNM Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inv. Nr. HB 25273/1209, Aufnahme 1986.