Lichtstuben im Geschichtshaus

Es werde Licht – und gesellig

Tradition   Im Owener Geschichtshaus ist die Wintermonate über wieder die Lichtstube geöffnet. Hier treffen sich Frauen, um zu stricken, zu basteln und natürlich, um ein Schwätzle zu halten. Von Iris Häfner

Lustig und ungezwungen geht es an diesem Abend zu im Geschichtshaus in Owen. Eine nach der anderen trudeln die Frauen ein und packen ihre Taschen und Körbe aus. Zum Vorschein kommen Wollebobbel, Häkel- und Stricknadeln sowie ominöse, aber schön gestaltete Papierstreifen. Die Leckereien für zwischendurch liegen schon auf dem Tisch bereit – die Heinzelmännchen waren anscheinend schon am Werk und haben auf den Tischen Erdnüsse verstreut und Mandarinen verteilt.

Um das Geschichtshaus mit Leben zu füllen, ließen die Frauen die Tradition der Lichtstube, auch Lichtkarz genannt, wieder aufleben. „Männer sind jederzeit willkommen“, sagt Gabriele Horer einladend und herausfordernd. Die Zusammensetzung an den Abenden ist immer unterschiedlich. Die einen kennen sich beispielsweise vom Turnen, die anderen von der Kirche. „Zu mir hat meine Schwester gesagt: Do gosch no“, erzählt die eine, und die andere ergänzt: „Bei mir war‘s die Nachbarin.“ Eine der Frauen fand den Weg in die Lichtstube, weil sie mit ihrem ersten selbst gestrickten Fingerhandschuh nicht weiterkam und Hilfe brauchte – und sie auch bekam. Geselligkeit in der Winterzeit haben sie ihre Treffen überschrieben, die von November bis Februar alle 14 Tage, immer mittwochs von 19.30 bis gegen 21.30 Uhr, stattfinden. Heuer nun im dritten Jahr.

An diesem Abend sollen unter anderem Äpfel für den Messeauftritt der Stadt Owen auf der CMT im Januar gehäkelt werden. Mehrere gewichtige Exemplare liegen schon als Ansichtsmaterial bereit. Sie schillern in allen Farben, der Fantasie kann beim Wolle- und Musterkombinieren freien Lauf gelassen werden. Gefüllt sind sie mit in Feinstrümpfen verpacktem Reis – und der macht die Äpfelchen wesentlich schwerer als die originalen Vitaminpakete. Die Messebesucher sollen damit angelockt und zu einem Wurfspiel animiert werden. Kaum begonnen und ohne Vorlage ist auch schon das „Blättle“ für den Apfel fertig, jetzt muss es nur noch befestigt werden.

Über so viel Engagement freut sich Verena Grötzinger. Die Bürgermeisterin schaut an diesem Abend auch eine Zeit lang vorbei und faltet nebenbei einen Fröbelstern. Dabei handelt es sich um einen dreidimensionalen Papierstern – und jetzt kommen die fein gemusterten Papierstreifen zum Einsatz, die eine der Teilnehmerinnen mitgebracht hat. Vier Streifen werden so gefaltet, dass ein wunderschöner Stern entsteht. Das Ganze ist ziemlich kompliziert, wenn man es zum ersten Mal versucht – nur gut, wenn erfahrene Hände bei dem Durcheinander weiterhelfen. Gleichzeitig nimmt am anderen Ende des Tischs eine Mütze immer mehr Gestalt an, fast fertig wird sie an diesem Abend.

G‘schwätzt wird nebenher natürlich auch, und so entstehen, ganz nebenbei, immer wieder Ideen für neue Projekte. Erinnerungen werden aufgefrischt, beispielsweise über das Einüben des Bändertanzes für den Maientag, das nicht immer eine ungetrübte Freude war, und weil bei Ausflügen das eine odere andere Ungeschick passieren kann, wird eine Geschichte nach kurzer Überlegung erzählt, denn: „Wir sind im Karz, da darf man das.“ Führungen durchs Geschichtshaus selbst sind bei den Lichtstuben-Treffen ebenso im Angebot, wie auch mal ein Spieleabend. Das muss nicht zwingend ein Kartenspiel sein, moderne Brettspiele gehören auch ins Repertoire.

Am Ende räumen alle miteinander auf. Der eine oder andere Tipp wird noch schnell weitergegeben und an Termine erinnert, wie beispielsweise an die Fahrt zur Schwabenausstellung in Stuttgart mit Führung, ehe alle, dick in die Winterjacken eingepackt, sich auf den Heimweg machen.

Den Spinnstuben haftete einst etwas Verrufenes an

Historie   Mit dieser Sitte, die fester Bestandteil des Dorflebens war, befasst sich Dr. Hans-Peter Hils. Von Iris Häfner

Owen. Die Lichtstube hat viele Namen, sie heißt je nach Ort oder Region beispielsweise Spinn- oder Rockenstube, Karz oder Kunkelkammer. Dabei handelt es sich um einen einstmals weitverbreiteten Brauch, die langen Winterabende gemeinsam mit geselligen Handarbeiten zu verbringen. „Üblicherweise traf sich ein Mädchenjahrgang, um für seine Aussteuer zu spinnen und andere Handarbeiten zu verrichten“, schreibt Dr. Hans-Peter Hils in seiner Abhandlung über die Spinnstuben in Owen auf der von ihm verantworteten Homepage des Alt-Owen-Förderkreises. Es gab auch noch einen weiteren, ökonomischen Grund, denn durch die gemeinsame Nutzung einer einzigen Stube wurden die Kosten für die Lichtquellen wie Kienspäne, Kerzen oder Öllampen gespart, aber auch Feuerholz.

„Licht- oder Spinnstuben sind Orte einer sehr lebendigen dörflichen Kultur, die darauf abzielte, Arbeit und Leben miteinander zu versöhnen. Die Spinnstube wird abwechselnd auf dem einen oder anderen Hof abgehalten, die Frauen und Mädchen spinnen, die Burschen machen Musik, oder es werden Volkslieder gesungen, Hexen- und Gespenstergeschichten erzählt und allerlei Kurzweil dabei getrieben. Die Spinnstuben dienten nämlich nicht nur dem Broterwerb, sondern waren Nachrichtenbörsen und kritisches Forum sowie Ort für jugendliche Sexualkultur und feuchtfröhliche Ausgelassenheit. Wegen der dabei vorkommenden Ausschreitungen in sittlicher Beziehung wurden Spinnstubenordnungen, d. h. polizeiliche Regelungen bezüglich der Zeit und Dauer des Beisammenseins, erlassen“, zitiert Dr. Hils Meyers Konversationslexikon von 1888 – 1890 und findet im Gespräch selbst deutliche Worte: „Das zeigt, dass es in den früheren Jahrhunderten einen Überwachungsstaat gab, der das sittliche Leben genau im Blick hatte.“

Dies machte er gleich zu Beginn seines Beitrags deutlich: Paul Rooschüz vermerkt in seiner Stadtgeschichte von Owen: „Daß Lichtkärze der Mädchen nicht von ledigen Burschen besucht werden, wird polizeilich überwacht. Als dies dennoch (1700) geschah, wurde der betreffende Hausvater um 11 kr. gestraft, obgleich die jungen Leute behaupteten, sie haben geistliche Lieder mit einander gesungen.“ Dr. Hans-Peter Hils geht davon aus, dass sich die Obrigkeit schon Anfang des 16. Jahrhunderts in den Wintermonaten in ständiger Alarmbereitschaft befand, weil „solche Lichtkertze von ledigen Mannßpersonen niemalen leer seyen“. Deshalb gab es die Aufsicht eines respektablen Lichtherren, der dem Kirchenkonvent gegenüber verantwortlich war. Interessant auch: Frauen mussten bei Vergehen in jener Zeit 15 Kreuzer Strafe zahlen, während Versäumnisse der Aufsicht den Stubenherren nur 11 Kreuzer kosteten.

Neben Nachrichtenbörse und Ort der Geselligkeit war die Lichtstube auch förmliches Eheanbahnungs-Institut – somit fester Bestandteil der ländlichen Lebenswelt und darin fest verwurzelt. „Damit entsprach sie genau den elementaren Bedürfnissen nach sinnvoller Freizeitgestaltung, zwischenmenschlichem Austausch und gemeinsamem Tun“, so Dr. Hils.

Er kommt am Ende zu dem Schluss: So darf in Erinnerung an Christian Daniel Schubart die Pflege der Spinnstuben in der heutigen Zeit als Folklore gewürdigt werden, „wo sichs beym Ofen gar herrlich reflektiren, betrachten, beherzigen, phantasiren und lügen“ lässt.

Quelle: Der Teckbote; Downloads vom 31.12.2016